Am 26. Februar 1945 eroberten die Amerikaner Erkelenz, damit war hier der Krieg zu Ende, obwohl er erst am 8. Mai in Deutschland endete. Was geschah nach dem 26. Februar, dem 8. Mai 1945 und in den nächsten Monaten in Erkelenz? Die Erkelenzer Lande waren besetzt, zunächst von den Amerikanern, die dann Anfang Juni 1945 von den Engländern abgelöst wurden. Die Berichte über die Geschehnisse dieser Zeit sind dürftig, was auch verständlich ist, denn die wenigen im Erkelenzer Land Verbliebenen hatten andere Sorgen.
Gefangennahme der Soldaten
Schon am 11.09.1944 war die Räumung der gesamten Stadt anordnet worden, am 01. Februar 1945 war sie dann für Zivilisten gesperrt, rings um die Stadt waren Minenfelder angelegt. Militär war eigentlich nicht mehr in der Stadt, lediglich der sogenannte Volkssturm war zur Verteidigung da. Kommandant war seit dem 31.01. der Hauptmann Edmund Knorr, Theo Paschmann war sein Adjutant. In den Dörfern rund um Erkelenz waren jedoch beim Einmarsch der Amerikaner noch Zivilpersonen.
Zum 26.02.1945 schreibt Edmund Knorr:
„Dann – nach der Kapitulation – traten im Verband des Volksgrenadierregimentes 759 auch die letzten vier in der Stadt verbliebenen Erkelenzer den dunklen Gang in das harte Leben der Gefangenschaft an. Noch einmal warf ich auf der Straße nach Lövenich vom Wahnenbusch aus einen Blick auf das im Schein der aufleuchtenden Abendsonne liegende Städtchen, das nun im wesentlichen ausgelitten hatte; noch einmal grüßte ich von hieraus – tief bewegt durch die Ereignisse und Erlebnisse der letzten Tage und Stunden – den immer noch stolz, trotz aller Wunden, gen Himmel ragenden Turm der zerstörten Pfarrkirche, der in seiner 500jährigen wechselvollen Geschichte zusammengenommen nicht so viel Leid und Tränen, so viel Schmach und Zerstörung sah, wie in den Monaten des Kriegswinters 1944-1945.“ 1
Internierung der Zivilbevölkerung
Nach dem Einmarsch der Amerikaner musste in den meisten Ortschaften des Erkelenzer Landes die Bevölkerung ihre Häuser bzw. Wohnungen verlassen und wurde gezwungen, über mehrere Tage auf engstem Raum und unter menschenunwürdigen Zuständen zu leben. Egidius Schmalen, Kaplan in Erkelenz, hat für die Zeit vom 06. Dezember 1944 bis 01. Juli 1945 einiges aufgeschrieben. So schreibt er zum 27. Februar 1945:
„Die Bewohner in der Umgebung wurden in die Stadt getrieben. Rath, Venrath, Mennekrath und Terheeg sind in den Baracken (Anmerkung: Ehemalige Unterkünfte der belgischen Besatzung in Erkelenz zwischen Gerhard-Welter-Straße und Tenholter Straße), 10 Tage lang, die ersten Tage ganz ohne Nahrung. Oestrich musste nach Kückhoven für fast 14 Tage. Wockerath musste nach Katzem, Matzerath war fast vier Wochen in Übach, Oerath konnte bleiben, in Matzerath waren Holtum und Schwanenberg“ 2
Auf dem Vorplatz des ehemaligen Finanzamtes mussten die Menschen lange herumstehen. Schließlich wurden Männer und Frauen getrennt. Die Männer, die Soldat oder im Volkssturm waren, mussten sich melden. Diese hat man dann nicht mehr gesehen. Zu dem Bild erzählte der Venrather Leo Mattelé:
„ Ich befand mich damals als Kriegsgefangener im Camp Forest im amerikanischen Bundesstaat Tennessee. Eines Tages zeigte mir mein Mitgefangener Toni Schmitz aus Kuckum das Photo in der US-Monatsschrift „News Week“ von August 1945. Er zweifelte an meinem Verstand, als ich ausrief: „Das sind ja die Venrather!“ Die Aufnahme aber zeigt tatsächlich die Bewohner der Kuckumer Str. und der Wanloer Str., wie sie auf den Vorplatz des früheren Finanzamtes Erkelenz geführt werden. Ich erkannte in der Menge schließlich sogar meine Mutter. Mit Genehmigung des Hospital-Office durfte ich die Zeitschrift behalten und später mit nach Hause nehmen.“ 3
Jack Schiefer, Widerstandskämpfer, der vor dem Krieg in Erkelenz lebte, wurde am 26. April 1945 von der Militärregierung zum Landrat für den Kreis Erkelenz ernannt, hat in seinem Bericht „Zerstörung und Wiederaufbau im Kreis Erkelenz“ die Geschehnisse bis etwa 1948 festgehalten. Zu den Zwangsräumungen schreibt er unter anderem, dass während der Abwesenheit der Bewohner die Häuser geplündert, Teile des Mobiliars willkürlich zerstört, Häuser beschädigt oder in Brand gesteckt wurden.
Das Leben beginnt langsam wieder
Nach der Rückkehr der Bewohner, so ab April 1945 – Ende März 1945 lebten in Erkelenz etwa 25 Einwohner, gestaltete sich besonders die Ernährung schwierig, die Vorräte waren geplündert und z. B. Bäckereien oder Metzgereien noch nicht funktionsfähig. In Erkelenz funktionierte als erste am 29. April 1945 die Bäckerei Heinrich Schröder am Markt. Ein weiteres Problem war, dass es keinen Strom, kein Gas und kein Wasser gab. In der Stadt Erkelenz befanden sich anfangs zwei Wasserstellen, am Wasserturm und an der Molkerei (in der heutigen Hermann-Josef-Gormanns-Straße). Hier mussten die Erkelenzer das Wasser holen. Aber diese Wasserstellen waren auch Nachrichtenzentralen, hier hörte man, wo es etwas gab. Schiefer berichtet auch, dass der Motor der Pumpe bei der Molkerei eines Nachts gestohlen wurde. Die Brunnen der Wasserversorgung, z. B. in Erkelenz, Holzweiler, Matzerath oder Uevekoven funktionierten zwar mehr oder minder, aber das Leitungsnetz war völlig zerstört und es dauerte schon einige Zeit, bis eine notdürftige Wasserversorgung möglich war. Gleiches galt auch für die Strom- und Gasversorgung.
Die Eisenbahnverbindungen waren am 20. Januar 1945 eingestellt worden und erst am 2. Juli 1945 wurde der öffentliche Eisenbahnverkehr in die Richtungen Aachen und Mönchengladbach wieder aufgenommen. Das zivile Telefonnetz war seit September 1944 gesperrt, beim Einmarsch der Amerikaner zerstört und erst am 2. Januar 1946 wurde der Fernsprechverkehr wieder aufgenommen.
Ein großes Problem für die Bevölkerung im Erkelenzer Land, die übrigens durch Heimkehrer wieder anstieg, waren die Plünderungen und Brandschatzungen durch ehemalige Zwangsarbeiter und Verschleppte, die regelrechte Raubzüge durch die Dörfer des Erkelenzer Landes durchführten. Zwar setzte die Militärregierung MP-Streifen ein, die aber keine wesentliche Besserung brachten. Die Lage veränderte sich erst im Sommer 1945, als die Lager, z. B. in Hetzerath oder Keyenberg aufgelöst wurden und die ehemaligen Zwangsarbeiter und Verschleppten das Erkelenzer Land verließen.
Zerstörung der Erkelenzer Kirchen
In Erkelenz Stadt waren beide katholischen Kirchen und auch die evangelische Kirche völlig zerstört. Schmalen schreibt, dass er am 18. März zum ersten Mal Messen in Östrich und Oerath gehalten hat, trotz Verbot durch den Kommandanten. Weitere Messen folgten dann in Matzerath und Terheeg. Die erste Messe in Erkelenz wurde am 01. April 1945 zu Ostern in zwei Räumen des Pfarrhauses gehalten. Und die erste Fronleichnamsprozessionen nach dem Krieg waren am 31. Mai 1945 in Oerath, Terheeg, Mennekrath und Wockerath.
Im Juli 1945 wurde im ehemaligen Lambertussaal eine Notkirche eingerichtet, die etwas später durch die Einbeziehung einer ehemaligen Wehrmachtsbaracke noch erweitert wurde. Evangelischer Gottesdienst wurde zunächst in einigen Privaträumen und dann im erweiterten ehemaligen Wintergarten des Pfarrhauses abgehalten.
Aufbau der Stadtverwaltung und des Schulbetriebes
Eine wichtige Aufgabe nach dem Einmarsch der Amerikaner war der Aufbau einer funktionsfähigen Verwaltung. Alle NS-Bürgermeister hatten sich frühzeitig in Sicherheit gebracht. Schon kurz nach ihrem Einmarsch wurden dann von den Amerikanern Personen – oft völlig wahllos – zu Bürgermeistern ernannt, vielfach waren das auch katholische Geistliche oder Mitarbeiter der bisherigen Verwaltungen. Da kam es aber auch vor, dass jemand Parteigenosse gewesen war, der musste dann als Bürgermeister wieder „entfernt“ werden.
In Erkelenz hatte sich der Rest der verbliebenen Stadtverwaltung nach der Zerstörung des Rathauses im Februar 1945 in Mennekrath in einem Privathaus einquartiert. Als die Amerikaner Mennekrath eroberten, bestimmten sie den städtischen Angestellten Hermann Künkels zum Bürgermeister. Mit dem verbliebenen Rest der Mitarbeiter residierte Künkels zunächst im Haus von Ferdinand Classen in der Südpromenade. Später zog die „Stadtverwaltung“ in das Haus Gerards an der Ecke Brückstraße/Vereinsstraße (heute Anton-Heinen-Straße). Nach einiger Zeit zog sie dann in das Haus des Kreises Erkelenz an der Ecke Kölner Straße/Freiheitsplatz. Hier blieb die Stadtverwaltung bis zum Neubau des Rathauses am Johannismarkt im Jahre 1952. Noch im Jahre 1945 wurde der Bürgermeister Künkels durch den Studienrat Peter Clasen aus Keyenberg abgelöst. Der wiederum wurde schon am 01. Juli 1945 durch Josef Stehr abgelöst, der im Jahre 1946 zum Stadt- und Amtsdirektor ernannt wurde.
Der Schulbetrieb wurde erst im Herbst 1945 wieder aufgenommen. Da die Volksschule am heutigen Zehnthofweg wegen Bombenschäden nicht benutzbar war, mussten die Kinder der Innenstadt zu den Schulen in den Dörfern, z. B. Bellinghoven, Matzerath, Terheeg, Tenholt oder Oerath gehen.
Langsame Normalisierung
Nach dem 08. Mai 1945 nahm die Zahl der Heimkehrer stetig zu, insbesondere von den Evakuierten, die in der russischen Zone waren. Was die Heimkehrer im Erkelenzer Land erwartete, war ihnen zunächst gleichgültig, man wollte „zurück in die Heimat“, die meistens aber nur aus Trümmern bestand. Das Herrichten notdürftigen Wohnraumes, oft im Keller, war angesagt und das Bemühen um Essen und Trinken, der Tauschhandel und der Schwarzmarkt beherrschten das tägliche Leben. Das wurde erst mit der Währungsreform im Juni 1948 besser.
Nach dem Ende des Krieges im Mai 1945 konnte also von Normalität noch keine Rede sein. Mit ersten Wiederherstellungsmaßnahmen, insbesondere zur Wohnraumbeschaffung, wurde aber schon Mitte 1945 begonnen. Vorher mussten aber die Trümmer beseitigt werden. Ehemalige Parteigenossen und Mitläufer wurden deshalb zu Enttrümmerungs- und Aufräumarbeiten zwangsverpflichtet. Aber auch die übrigen Bürger, insbesondere Bauern, die noch ein Pferd oder einen Ochsen und eine Karre besaßen, zog man zur Enttrümmerung heran. Auch die Jugend war aufgerufen, in freiwilligen Arbeitseinsätzen bei der Enttrümmerung der Stadt zu helfen.
Mit Freiwilligen wurde insbesondere die zerstörte Kirche St. Lambertus enttrümmert. Im Herbst 1945 verhallten noch die Aufrufe, erst im Frühjahr 1946 wurde dem Aufruf vermehrt Folge geleistet. So schreibt der ehem. Dechant Otto Frings, dass etwa 350 Männer und einige Frauen im Frühjahr 1946 mit der Enttrümmerung begonnen hatten, die etwa drei Wochen dauerte. Sicherungsarbeiten am stark einsturzgefährdeten Lambertiturm durch den Einzug von drei Betondecken begannen im Herbst 1946 und wurden im Frühjahr 1947 beendet. 4
Es dauerte noch Jahre, bis in Erkelenz eine der Zeit entsprechende Normalisierung erfolgte. Zunächst galt es die Kriegsschäden zu beseitigen und neuen Wohnraum zu schaffen. Aber auch die Infrastruktur wie Straßen, Elektrizität, Wasser, Gas usw. musste wieder hergestellt werden. Später folgten dann der Wiederaufbau von öffentlichen Gebäuden und der beiden Kirchen.
Im Jahre 1955 schrieb die britische Journalistin Rhona Churchill in der englischen Tageszeitung DAILY MAIL einen Bericht über Erkelenz mit dem Titel „Das Wunder durch das eine Stadt wiederaufgebaut wurde“ und stellte fest, dass in Erkelenz alle durch Bomben zerstörte Häuser durch Neubauten ersetzt oder instandgesetzt wurden. 5
6- Aus „Als Erkelenz in Trümmer sank“ von Josef Lennartz
- Aus „Als Erkelenz in Trümmer sank“ von Josef Lennartz
- Alle Informationen zur Internierung der Venrather von Maria Mattelé, Venrath
- Siehe Band 23 der Schritenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande, Seite 97
- Siehe Heimatkalender 1956, Seite 20
- Text von Günther Merkens 2021 für den Heimatverein der Erkelenzer Lande e. V.
- Zerstörung und Wiederaufbau im Kreise Erkelenz. Erkelenz, 1948 ,
- Als Erkelenz in Trümmer sank. Erkelenz, 1975 ,
- Schriftenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande e.V.. Band 23, Erkelenz, 2009 ,
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