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Jack Schiefer

⁎ 16.04.1898 † 29.01.1980
1945 1947 1. Landrat und Oberkreisdirektor des Kreises Erkelenz

Jugend und Erster Weltkrieg

Jack Schiefer wurde am 16. April 1898 in Sinnersdorf bei Köln als Jakob Erpenbach geboren und später von seinem Stiefvater adoptiert, weswegen er den Namen Schiefer annahm. Nach der Volksschule arbeitete er als Viehwärter in der Landwirtschaft seines Heimatortes. Im 1. Weltkrieg diente er von Mai 1916 bis 1918 als Kriegsfreiwilliger Infanterist und Granatwerfer an der französischen Front im Elsass.

© Familie Schiefer | 1917 im Ersten Weltkrieg mitte
Jack Schiefer (Mitte) 1917 als Kriegsfreiwilliger

Erste berufliche Erfahrung

© Familie Schiefer | 1920 Zuschläger Schmiede Gehilfe in Kölner Eisenbahnschmiede
Vermutlich 1920er: Jack Schiefer 2. von rechts im Kreise seiner Kollegen in der Eisenbahnschmiede in Köln

Von 1918 bis 1926 arbeitete er als Zuschläger in der Kölner Eisenbahnschmiede und nahm 1923 am Ruhrkampf teil. 1920 war er dem Einheitsverband der Eisenbahner beigetreten.


Arbeitersekretär in Mönchengladbach und Studium

© Familie Schiefer | 1929 als Arbeitersekretär des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Rheydt
1929: Jack Schiefer als Arbeitersekretär in Gladbach- Rheydt

Jack Schiefer war Autodidakt. Als Stipendiat der katholischen Arbeiterbewegung besuchte er von 1926 bis 1928 die Fachschule für Wirtschaft und Verwaltung in Düsseldorf und wurde 1928 Arbeitersekretär des ADGB (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund) in Gladbach-Rheydt. Dieses Amt, das vielfältige arbeits- und sozialrechtliche, organisatorische sowie arbeitspädagogische Aufgaben umfasste, übte er bis zum Februar 1933 aus

Im Mai 1928 erlangte er in einer Prüfung vor dem preußischen Kultusministerium die Berechtigung zum Studium ohne Reifezeugnis und studierte neben seinem Beruf Volkswirtschaftslehre an der Uni Köln. Im WS 1931/32 erwarb er den Abschluss als Diplom-Volkswirt und promovierte zum Dr. rer. pol. am 18.05.1933.


Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Als nach Hitlers sogenannter Machtergreifung 1933 die Gewerkschaften aufgelöst wurden, emigrierte Jack Schiefer als erklärter Gegner des NS mit der Erkelenzerin Martha Peters, die er zuvor am 16.07.1933 in Köln geheiratet hatte, nach Amsterdam, wo auch die Tochter Martha 1934 geboren wurde, als erstes von drei Kindern (Tochter Leda wird 1941 und Sohn Leander Anfang 1946 geboren). An der dortigen „Economisch-Historischen Bibliotheek“ war er mit wissenschaftlichen Untersuchungen beschäftigt und arbeitete als Wirtschaftsjournalist und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Professor Posthumus (1880-1960), der gute Kontakte zu den SPD-Spitzenfunktionären im Prager Exil hatte. Obwohl die Nationalsozialisten seit 1933 nach ihm suchten, verfasste Schiefer Schriften gegen sie, organisierte von Amsterdam aus gemeinsam mit anderen den Widerstand gegen Hitler, der vor allem in kritischen Artikeln und deren Verbreitung bestand. Jack Schiefer führte Nachrichten und Kurierdienste zwischen den Widerstandsgruppen im Reich und dem Ausland aus und nahm unter dem Decknamen „Niemöller“ an den Auslandskonferenzen von Sozialdemokraten als Redner teil.

© Familie Schiefer | Passbild während der NS Zeit
Passbild während der NS Zeit

Verhaftung und Prozess

© Familie Schiefer | Denunziationsschreiben an Gestapo
1935: Denunziationsschreiben des Herrn Petzold

Am 20. Juli 1935 wurde er bei einer Kurierfahrt ins Reich aufgrund einer Denunziation vor dem Bahnhof in Erkelenz verhaftet, im Alten Rathaus, welches damals als Gefängnis fungierte, inhaftiert und ersten Misshandlungen ausgesetzt. Er wurde der Gestapo übergeben und in deren Folterkellern festgehalten bis zum Prozess. Am 11. Dezember 1936 wurde er vom 2. Senat des Volksgerichtshofes wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. „Wäre mir der Umfang meiner illegalen Tätigkeit nachgewiesen worden, lebte ich nicht mehr“, schrieb er später.1. In demselben Verfahren, welches nur 6 Tage dauerte, wurden insgesamt 18 Personen angeklagt. Zwei Angeklagte wurden freigesprochen, die übrigen zu einer Freiheitsstrafe zwischen einem Jahr und vier Monaten Gefängnis und 9 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Für Jack Schiefer hatte der Oberreichsanwalt 10 Jahre gefordert, aber ihm war lediglich die Teilnahme an 2 Auslandskonferenzen der SPD nachgewiesen worden. Strafbegründend war: „[…] schon die Anwesenheit und die Reden eines Mannes von dem geistigen Format eines Schiefer […] mussten die Hoffnungen der Konferenzteilnehmer auf einen Erfolg ihrer illegalen Arbeit steigern.“2 Strafmildernd berücksichtigte das Gericht die Teilnahme am 1. Weltkrieg und am Ruhrkampf, wo er u. a. die Sprengung einer Rheinbrücke vorgenommen hatte.


Pressebericht

Der „Neuer Vorwärts“ berichtet am 16. August 1936 ausführlich über einen Massenprozess gegen Sozialdemokraten. In diesem Prozess wurde Jack Schiefer verurteilt.

© Stadtarchiv Erkelenz | 1936-08-16-Bericht neuer Vorwärts über Braune Justiz
Pressebericht zum Prozess in dem unter anderem Jack Schiefer verurteilt wurde

Entlassung aus dem Zuchthaus 1938

Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen
Luftbild des Zuchthauses in Remscheid-Lüttringhausen

Jack Schiefer saß im Zuchthaus Lüttringhausen ein. Zu Weihnachten 1937 wurde er unter Bewährungsauflagen vorzeitig unter der Berücksichtigung der o. g. Gründe entlassen. Er kehrte zu seiner Familie nach Erkelenz zurück, verblieb in Deutschland und arbeitete als Geschäftsführer in der Industrie, wurde aber immer wieder verhaftet und den Verhören und Misshandlungen der Gestapo ausgesetzt. Mit seiner Verurteilung hatte er nicht nur seine akademischen Würden und bürgerlichen Ehrenrechte verloren, sondern er war auch „wehrunwürdig“ geworden.

Während der 2. Weltkrieges führte er „Das Tagebuch eines Wehrunwürdigen“ und veröffentlichte es 1947. Trotz Wehrunwürdigkeit wurde er zweimal zum Strafbataillon 999 einberufen, es gelang ihm aber unterzutauchen.


Landrat und Oberkreisdirektor

Am 19. März 1945 kehrte Schiefer von Sinnersdorf, wo er mit Frau und 2 Töchtern evakuiert war, nach Erkelenz zurück, welches am 26. Februar durch die Amerikaner eingenommen worden war. Am gleichen Tag meldete er sich bei der Kommandantur mit seinen Entlassungspapieren vom Zuchthaus, bekam nach einem ausführlichen Verhör am nächsten Tag einen Pass und holte seine Familie nach Erkelenz. 10 Tage später wurde er von der amerikanischen Militärregierung zu deren Zivilvertreter und am 20. April 1945 zum Landrat des damaligen Kreises Erkelenz berufen. In diesem Amt verfasste er am 1. Juli 1945 einen Aufruf an die Bevölkerung des Kreises Erkelenz, der ein Zeugnis seiner hohen Ideale war. Es lohnt sich diese Zeilen zu lesen.

© Stadtarchiv Erkelenz | 1949-07-01 Deklarotion zum Neubeginn für Kreis Erkelenz

Im Februar 1946 wählte ihn der Kreistag zum Oberkreisdirektor, bevor er im August 1947 als Referent in das Düsseldorfer Arbeitsministerium wechselte. Ab 1951 war er Leiter des Ressorts für Arbeit und Soziales bei der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in Luxemburg. Diese Vereinigung ist auch als Montanunion bekannt und war Vorläufer der Europäischen Union (EU)

© Familie Schiefer | 1954 Jack Schiefer bei der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl
1954: Jack Schiefer bei der Europäischen Union für Kohle und Stahl

Nach seiner Pensionierung 1963 kehrte er nach Erkelenz zurück, wo er von 1964-1969 Mitglied im Rat der Stadt war. Er starb am 29. Januar 1980 und wurde auf dem Friedhof Erkelenz beerdigt.

1980-03 SPD Information Ortsverein Erkelenz-2.jpg
Nachruf vom SPD Ortsverein
© Erkelenzer Volkszeitung | 1980-01-31-Erkelenzer Volkszeitung Bericht Tod Jack Schiefer
Nachruf Erkelenzer Volkszeitung


Vermächtnis

© Familie Schiefer | 1949 Buchverlagslizenz Jack Schiefer
1949: Lizenzurkunde mit der Genehmigung der Militärregierung einen Verlag zu führen

Jack Schiefer war 1945 Mitbegründer der ersten deutschen Journalistenschule in Aachen, er gründete selbst einen Verlag und war Verfasser unzähliger Aufsätze und Bücher. Während er sich in den Nachkriegsjahren hauptsächlich mit dem sogenannten 3. Reich auseinandersetzte (Die Zuchthausballade; Aus dem Tagebuch eines Wehrunwürdigen; Zerstörung und Wiederaufbau im Kreise Erkelenz), folgten nach Themen zu den Gewerkschaften vor allem Werke zur sozialen Sicherheit und zu den Arbeitsbedingungen in den Mitgliedsstaaten der EU.


Zum Tagebuch eines Wehrunwürdigen schreibt er: „Die Jahre waren einsam und gefahrvoll zu leben. Mein Geist wollte sich betätigen und wachsen. Als es sinnlos geworden war, sich zu verschwören, griff ich zur Feder und schrieb, hielt meine „Gedanken und Betrachtungen“ fest. So entstand aus geistiger Einsamkeit, Unruhe und Selbstkritik mein „Tagebuch eines Wehrunwürdigen“.“3

Zum Abschluss ein Gedicht von Dr. Jack Schiefer, nach dem eine Straße in Erkelenz benannt ist. Die Erkelenzer Route gegen das Vergessen erinnert am Alten Rathaus an den Widerstandskämpfer.

Wir, die wir leben, Gestapo, KZ und dem Zuchthaus entkamen,
wir, die an Körper und Geist, tragen noch Spuren der Qual.
Wir, die für menschliche Würde gestritten
und jedermanns Wohlstand.
Wir, die wir fordern den Staat, daß er nur diene dem Volk,
ehren die Toten, die Millionen,
die litten und starben, daß wir noch leben zur Tat
sozial bauend ein Reich.
Höret, sie mahnen, die Geister, und schwören wir ihnen Gelöbnis,
Freiheit und Würde dem Volk, Liebe statt Haß und kein Krieg.
4 5


  1. Quelle Bd. 12, S. 224
  2. Quelle Wikipedia.org/wiki/Jack Schiefer (Stand: 08.2023)
  3. Zitat aus Band 12, S. 225
  4. Quelle: Band 12, S. 225
  5. Text von Rita Hündgen Layout und Bildbearbeitung Bernd Finken 2023 für den Heimatverein der Erkelenzer Lande e. V.
  1. Wikipedia, Wikipedia Deutsch. https://de.m.wikipedia.org/, wiki/Jack Schiefer (Stand: 08.2023)
  2. Heimatverein der Erkelenzer Lande e.V. (Hrsg.), Schriftenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande e.V.. Band 12. 1992. Arbeitskreis "Erforschung und Darstellung der Geschichte": Aus der Geschichte des Erkelenzer Landes. Darin: Leander Schiefer: "Aus dem Tagebuch eines Wehrunwürdigen" Berichte von Jack Schiefer über den 2. Weltkrieg, Seite 223 - 246

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