Sie sind hier: Startseite» Erkelenz» Zeitgeschehen » Als Vater ein Radio mitbrachte

Als Vater ein Radio mitbrachte

sonstiger Name: Radiotechnik in Erkelenz
1950-1959

Erstes Radio im Haus

Text und Zeichnungen von Wilhelm Borgs

Borgs-erstes-Radio
Wilhelm Borgs: Das erste Radio

Anfang der 1950er Jahre wohnten wir im Haus der Großeltern in der Erdgeschoss-Wohnung. Zur Straße war das Wohnzimmer, das nur am Sonntag oder an Feiertagen benutzt wurde. Tagsüber war die Küche der Lebensmittelpunkt.
 Eines Abends kam mein Vater mit einem großen Jutesack (Kunststofftüten gab es noch nicht) nach Hause. Erwartungsvoll schaute ich auf das „Ungetüm“. Er löste die Schnur des Sackes und forderte mich auf, den Rand festzuhalten. Mit beiden Händen griff er ins dunkle „Innere“ und hob einen quaderförmigen Kasten mit einem kreisrunden, mit Tuch bespannten Loch hervor. Was ist dass??? Ein Radio! (Radio, von Radius, lat. = Strahl abgeleitet). Das neue Stück kam auf das Bord. Dieses hatte Opa Heinrich, der Schreinermeister war, angefertigt.

Technische Erfordernisse

 Dann steckte Vater das Kabel, welches hinten aus dem Radio kam, in eine Steckdose und schaltete an einem der Dreh-Knöpfe ein. Ein lautes Brummen war zu hören. Vater meinte: „Die Antenne muss noch angeschlossen werden.“ Auf dem neben der Küche gelegenen Hof hatte er ein blankes Kupfer-Kabel (durch eierförmige Keramik-Isolatoren zum Aufhänghaken getrennt) unterhalb der Dachrinne von der Hauswand bis zum Kamin der Waschküche, die am Ende des Hofes lag, gespannt. Von diesem waagerechten Draht wurde mittig ein zweiter Draht senkrecht bis in die Küche geleitet. Als dieser mit dem Radio verbunden war, hörten wir die ersten Töne, den Sprecher und die Musik.

Was man gerne hörte

Wichtig waren für Vater die Nachrichten, die Ergebnisse der Fußballspiele und speziell am Sonntagabend die TOTO-Ergebnisse.  Mutter hörte meistens klassische Musik. Für mich gab es sonntags um 14 Uhr die Kinderstunde; ein Sprecher mit markanter Stimme  erzählte dann z. B. Grimms-Märchen.
Radio hören war in den ersten Nachkriegsjahren sehr beliebt; schließlich war es neben der täglichen Zeitung die Informationsquelle zum Weltgeschehen. Pünktlich um 12 Uhr zum Mittagessen hörte man die allerneuesten Nachrichten. Später folgten klassische Musik oder die neuesten Schlager, die gerade in dieser Zeit die Reisesehnsucht weckten.

Neue Berufe entstehen

Berufe, die mit Radio und Fernsehen zu tun hatten, waren heiß begehrt. Auch mich hatte schon früh dieses Fieber gepackt. Weihnachten 1959 wurde mein Wunsch erfüllt mit dem Experimentier-Baukasten Radiomann vom Kosmos-Verlag. Durch die Beispiele bzw. Experimente aus dem Lehrbuch lernte ich das Grundwissen der Physik, der Elektro- und Rundfunktechnik kennen. Beim ersten selbst gebauten Radio musste ich mit einer Metall-Nadelspitze, die mit der aufgebauten Schaltung verbunden war, auf dem „Detektorkristall“ einen Sender suchen, ein schwieriges, nicht reproduzierbares Unterfangen. Durch die geringe Leistung konnte man nur über Kopfhörer der Sprache und Musik lauschen. Die zweite Radio-Version mit einer Verstärkerröhre, sie kostete 11,50 DM, war da schon komfortabler. Diese ersten physikalischen, technischen Experimente haben letztendlich zum später eingeschlagenen Studium bzw. Beruf geführt, in dem ich auch mit Strahlen zu tun hatte.

Borgs-Radiozusammenbau
Wilhelm Borgs: Beim Experimentieren

Kurze Geschichte des Radios

Die Zeilen zeigen, wie ich es in der Nachkriegszeit erlebt habe. Wie fing alles an? Wann kam das erste Radio nach Erkelenz? Die ersten offiziellen Radiosendungen gab es ab dem 29.10.1923. Mit der Inbetriebnahme des Berliner Funkturmes im Herbst 1925 wurde die Sendekapazität wesentlich verbessert. Das Interesse an Rundfunk-Geräten stieg stetig an.
Ab 1933 forcierte die Regierung aus propagandistischem Zweck die Verbreitung des sogenannten Volksempfängers, er sollte in jedem Haushalt stehen. 1939 gab es in Deutschland ca. 12 Millionen Geräte bei 70 Millionen Einwohnern. Einer Erhebung nach hatten 1940 im Kreis Erkelenz ca. 53 % der Haushalte ein Rundfunkgerät. Durch den Zweiten Weltkrieg gab es natürlich einen großen Einbruch, nach 1948 war ein stetiger Anstieg zu sehen. 1950 gab es aber erst ca. 13% Tonrundfunk-Geräte in den Haushalten, fünf Jahre später lag der Anteil bei ca. 22 %.
Durch das Wirtschaftswunder gingen die Verkaufszahlen wesentlich schneller in die Höhe. Das Radio wurde zum Prestigeobjekt, man konnte zeigen, wie gut es einem ging. 1978 wurde in einem Zeitungsartikel zum 70. Geburtstag über einen bekannten Radiohändler berichtet: Er, Bert Lennartz, brachte das erste Radio nach Erkelenz. Als 17-Jähriger hatte er schon 1925 einen Empfänger. Die Leidenschaft führte ihn dann zu seinem späteren Beruf bzw. zum Geschäft auf der Kölnerstraße 2. Damals gab es in Erkelenz vier Radiogeschäfte: Brudermanns, H.-J.-Gormanns-Straße, Küppenbender, Brückstraße, Thiss Lennartz, Aachenerstraße und den erwähnten Bert Lennartz, Kölnerstraße 2.

Zum Schluss noch etwas Kurioses aus heutiger Sicht: In den Jahren 1929/30 mussten Außenantennen für Rundfunkgeräte auf Antrag von den Ämtern genehmigt und auch durch den Dampfkessel-Überwachungsverein (heute TÜV) geprüft werden. Händler, die Geräte oder Teile für Radios verkauften, mussten über Käufer Buch führen.
1930 unterlagen aufgestellte Rundfunkempfänger in Gasthäusern und Restaurants bei Veranstaltungen, z. B. Tanz, der Meldepflicht und der Vergnügungssteuer. Auch damals gab es bürokratische Hürden; ein Glück, dass dies heute nicht mehr so ist.1

  1. Text und Zeichnungen von Wilhelm Borgs 2024

Wenn Sie uns Feedback zu diesem Artikel senden möchten, nutzen Sie bitte dieses Kontaktformular:

    * Pflichtfeld

    VIRTUELLES MUSEUM © 2024
    Datenschutz Impressum Kontakt