Sie sind hier: Startseite» Erkelenz» Oestrich» Stiftung» Zeitgeschehen » Die Grundherrschaft des Aachener Marienstiftes in Erkelenz

Die Grundherrschaft des Aachener Marienstiftes in Erkelenz

Am 17. Januar 966 erhielt das Marienstift zu Aachen durch Tausch mit dem lothringischen Grafen Immo unter anderen den im Mühlgau in der Grafschaft des Eremfred gelegenen Ort Erkelenz und den Nachbarort Oestrich. Kaiser Otto der Große bestätigte diesen Tausch in der genannten Urkunde bei einem Hoftag in Aachen. Das Stift war nunmehr Eigentümer des gesamten Grund und Bodens in Erkelenz und der umliegenden Dörfer mit der Besonderheit, dass die Landesherrschaft von den Grafen von Geldern ausgeübt wurde. Erst 1803 verlor das Stift diese Eigentumsrechte, als Frankreich die Säkularisation im Rheinland durchführte.

Das Aachener Marienstift

Das Aachener Marienstift, vom Jahre 1000 an auch Krönungsstift St. Marien genannt, war ein Kollegialstift in der Reichsstadt Aachen, das vom Ende des 8. Jahrhunderts bis zur Säkularisation 1802 bestand. Die von dem Stiftskapitel betreute Kirche war die im Auftrag Karls des Großen errichtete Kapelle seiner Pfalz in Aachen, deren Oktogon den Kernbau des heutigen Aachener Doms bildet. Die Marienkirche war die mittelalterliche Krönungskirche der deutschen Könige, eine bedeutende Wallfahrtskirche und spätere Grablege Karls des Großen. Das Stift gehörte von 1789 an zum Bistum Lüttich und ging 1802 teilweise in ein Domstift für die Bischofskirche des neugegründeten ersten Bistums Aachen über.1

Das Marienstift genoss hohes Ansehen und dies führte auch dazu, dass es auch nach Karl von weiteren fränkischen und deutschen Herrschern bis in das 11. Jahrhundert hinein umfangreiche Schenkungen von Grundbesitz, Zehnt- und Nonenrechte erhielt. Der Grundbesitz umfasste etwa zwanzig Ortschaften mit Kirchen und den daraus resultierenden Zehntrechten sowie weitere zehn Kirchen mit den entsprechenden Zehnt- und Besetzungsrechten für die Pfarrstellen, dazu Weinberge an Rhein, Ahr und Mosel. Aus dem Landbesitz und den Zehntrechten inkorporierter Kirchen, die im Wesentlichen bis 1802 erhalten blieben, ergaben sich etwa 60 % der Getreideeinnahmen des Stifts. Dazu kamen im Laufe der Zeit weitere Vermächtnisse und Stiftungen, teilweise von Privatpersonen für jährliche Messen. Das Stift erwarb auch Grundrechte, Renten und Schuldverschreibungen, teilweise zum Ausgleich von im Laufe des Achtzigjährigen Krieges verloren gegangenem Grundbesitz um Lüttich. 2

© gemeinfrei | Hans von Reutlingen | Siegel und Siegelstempel des Marienstiftes

Die Beziehung zu Erkelenz

Grundherrschaft

Am 17. Januar 966 erhielt das Marienstift zu Aachen durch Tausch mit dem lothringischen Grafen Immo unter anderen den im Mühlgau (Der Mühlgau lag in dem Gebiet zwischen Maas und Niers, das sich von der Niederrheinischen Bucht bis zum niederrheinischen Tiefland erstreckt.3) in der Grafschaft des Eremfred gelegenen Ort Erkelenz und den Nachbarort Oestrich. Kaiser Otto der Große bestätigte diesen Tausch in der genannten Urkunde bei einem Hoftag in Aachen. Diese Urkunde ist zugleich die erste urkundliche Erwähnung von Erkelenz. Nach dieser Urkunde übergibt lmmo dem Marienstift seinen Besitz im Mühlgau, u. a. in Erkelenz, Oestrich, Berg, Rickelrath und Watern. Im Gegenzug erhält lmmo dafür vom Aachener Marienstift den Hof Gelmen, ca. 9 km südöstlich von St. Truiden an der Straße nach Lüttich im Haspengau.

© Archiv des Heimatvereins | unbekannt | Abschrift der Urkunde vom 17.01.966
Abschrift der Urkunde von 17. Januar 966

Die Bedeutung der Grundherrschaft des Aachener Marienstiftes für Erkelenz haben Herborn/Krings eingehend beschrieben.4

Das Aachener Marienstift organisierte nach 966 seinen um Erkelenz gelegenen alloidalen Grundbesitz in der zu jener Zeit üblichen Form eines „Fronhofsverbandes“. Den grundherrschaftlichen Mittelpunkt bildete der in Oestrich gelegene Fronhof des Aachener Stiftes. Erkelenz hingegen war mit seiner Kirche und dem zu dieser gehörenden Zehnthof der kirchliche Mittelpunkt des gleichen Fronhofsverbandes. 5

Seit 966 hatte also das Aachener Marienstift die Grundherrschaft in Erkelenz. Grundherrschaft bezeichnet dabei die Verfügungsgewalt der Herren über die Bauern und das Land. Sie ist also die Ausübung der Macht durch einen Grundherrn über Land und Leute.6 Da der Grundherr seinen Grundbesitz nicht selbst bewirtschaftete, wurde das Land entweder

  • als Lehen vergeben. Unter Lehen versteht man ein Gut, das der Eigentümer einem anderen zur Nutzung überließ,7
  • oder von abhängigen, persönlich unfreien Bauern bewirtschaftet.

Die Untertanen standen in unterschiedlichen Abhängigkeitsverhältnissen zum Grundherrn. Sie hatten von dem Erwirtschafteten unterschiedliche Abgaben zu leisten und waren zu Frondiensten verpflichtet. Die Abgaben bestanden meist aus Naturalleistungen (Fruchtzins), die der Hofhaltung der Grundherrn geliefert werden mussten, Dienstpflichten, wie Hand- und Spanndienste oder Abgaben in Geld.8

Vertreter des Marienstiftes vor Ort war der Schultheiß. Mathias Baux schreibt dazu in seiner Chronik (aus der Mitte des 16. Jahrhunderts), dass der Propst die Macht hat, einen Schultheißen einzusetzen und abzusetzen, jederzeit nach seinem Willen.9

Der Schultheiß oder Schuldheiß bezeichnet einen Beamten, der Schuld heischt: Er hatte im Auftrag seines Herrn (Landesherrn, Stadtherrn, Grundherrn) die Mitglieder einer Gemeinde zur Leistung ihrer Schuldigkeit anzuhalten, also Abgaben einzuziehen oder für das Beachten anderer Verpflichtungen Sorge zu tragen. Der Schultheiß war also verantwortlich, dass die Lehensherren und die anderen Verpflichteten ihren Abgaben nachkamen.10

Für Erkelenz sind schon früh Namen von Schultheißen bekannt, so z. B. aus dem Jahre 1309.11

Dem Schultheiß stand in aller Regel ein Rentmeister zur Seite. Diesem oblag es, die Güter, Zehnte, Renten und Einkünfte des Grundherrn zu verwalten, deren Abgaben zur rechten Zeit anzufordern, anzumahnen und zu erheben. Er übermittelte dem Stift die Einkünfte aus dem Grundbesitz. Zu den Aufgaben des Rentmeisters gehörte in Erkelenz auch die Ausrichtung der „schependienste“, der sogenannten Schöffenmahlzeiten.12 Außerdem gab es einen Zehntmeister, der für die Abgabe des Kirchenzehnts zuständig war.

Landesherrschaft

© Von Christian Sgrothen - Heimatkalender des Kreises Heinsberg, 2000, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2118010 | unbekannt | Erkelant im Herzogtum Geldern

Das Marienstift besaß in Erkelenz nur die Grundherrschaft, nicht die Landesherrschaft. Deshalb einige Anmerkungen dazu. Erkelenz war seit dem 13. Jahrhundert dem Herzogtum Geldern zugehörig, bevor es nach einigen unruhigen Jahren Ende des 15. Jahrhunderts, in denen der Landesherr mehrmals wechselte, 1543 den Spanischen Niederlanden zugesprochen wurde.

Im Frieden von Utrecht 1714 erhielt Herzog Johann Wilhelm von Jülich und Kurfürst von der Pfalz Erkelenz. Die Stadt gehörte jetzt zum Herzogtum Jülich und verlor so ihre jahrhunderte alte Zugehörigkeit zum Oberquartier Geldern.

Aus zwei getrennten Teilen bestehend, bildeten Stadt und Kirchspiel (d. h. der Pfarrbezirk) Erkelenz gemeinsam das Amt Erkelenz, dem ein vom Landesherrn eingesetzter Amtmann bzw. Drossard vorstand. Verwaltet wurde das Amt in Personalunion von dem Drosten des Amtes Krickenbeck, sein Stellvertreter in Erkelenz war ein Vogt.13

Die Gerichtsbarkeit

Seit dem 12. Jahrhundert wurde zwischen hoher und niederer Gerichtsbarkeit unterschieden. Die hohe Gerichtsbarkeit befand über schwerwiegende Fälle wie heimtückischen Mord, Herstellung von Falschgeld, Hochverrat, etc. Die hohe Gerichtsbarkeit übten meist die Landesherrn aus. Die Grundherren wiederum waren die Herren über die niedere Gerichtsbarkeit. Eigentumsdelikte, Erbstreitigkeiten, Körperverletzung, Beleidigungen, usw., fielen in ihr Hoheitsgebiet.14

Der Vogt als Vertreter des Landesherrn vertrat dabei die Hochgerichtsbarkeit, während dagegen über die niederen gerichtlichen Fälle als Vertreter des Grundherrn der Schultheiß und die Schöffen entschieden.

Mit der Stadterhebung um 1320, die gegen den Widerstand des Stiftes erfolgte, änderte sich das Verhältnis von Grundherr und Landesherr. Dieser griff mit der Stadterhebung direkt in die Rechte des Marienstiftes ein. Die Einwohner von Erkelenz wurden nun zu Erkelenzer Bürgern. Zwar leisteten sie weiter Abgaben und Dienste an das Stift, doch hatte sich ihre persönliche, d. h. rechtliche Stellung verändert.15

Kurz nach der Stadterhebung übernahmen die Schöffen die gesamte Gerichtsbarkeit, Zivil- und Strafsachen lagen nun in ihren Händen. Bei Gericht führte der älteste Schöffe den Vorsitz; als Schreiber und Protokollführer fungierte der Stadtschreiber. In Streitigkeiten, die Grund und Boden betrafen, wurde der Schultheiß zugezogen, in Strafsachen war der Vogt der öffentliche Ankläger. Es gab zwei vom Gericht für dauernd bestellte und vereidigte „Fürsprecher“ (Anwälte).16

Da aber die Schöffen in aller Regel Lehnsnehmer vom Propst des Marienstiftes waren und als Schöffe außerdem von diesem bestätigt werden mussten, ist eine gewisse Abhängigkeit der Schöffen vom Propst nicht auszuschließen.

Besitz des Marienstiftes im Erkelenzer Land

Grundbesitz

In den Güterverzeichnissen vor 1200 werden Grundbesitz und die daraus resultierenden Abgaben für Erkelenz und Oestrich getrennt (wie in der Urkunde von 966) aufgeführt. Später, so ab dem 12. Jahrhundert, wird nur noch von der Grundherrschaft in Erkelenz gesprochen. Für die Grundherrschaft gab es zwei unterschiedliche Wirtschaftsbereiche: das Salland oder Herrenland und das Leihe- oder Hufenland.

Aus früher Zeit sind keine oder nur teilweise Güterverzeichnisse vorhanden. In zwei frühen Güterbesitzverzeichnissen (undatiert) wird in einem Verzeichnis Besitz des Marienstiftes u. a. in Erkelenz erfasst und bei dem zweiten Dokument handelt es sich um ein Zinsverzeichnis. Im 11. Jahrhundert finden sich Hinweise auf Einkünfte des Stiftes u. a. in Erkelenz.17

In einer Urkunde vom 28. September 132618 wird eine Aufteilung des Besitzes in Erkelenz zwischen Propst und Kapitel geregelt.19 Danach gehören u. a. dem Propst die Lehnsleute und Vasallen, die Einkünfte des Schultheißenamtes, die Einkünfte des Markthauses (gewanthus) sowie der Zoll zu Erkelenz, von dem u. a. der Vogt für die Marktaufsicht bezahlt wurde.

Dem Dechant und Kapitel dagegen gehören das Grundeigentum des Dorfes Erkelenz als reiner Allodialbesitz (Das Allod bezeichnete im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Recht ein Eigentum, über das der Eigentümer frei verfügen konnte 20), die Bestätigung der Schöffen und der zwei Anwälte (gen. Vorsprecher). Außerdem gehören dem Kapitel der große und kleine Zehnt sowie zahlreiche Naturalabgaben, z. B. Getreide.

© Landesarchiv NRW in Duisburg, Urkunde Nr. 182 | unbekannt | Urkunde Heinrich-von-Sponheim
Urkunde Heinrich von Sponheim

Aus dieser Urkunde ergibt sich somit, dass es für Erkelenz zwei Grundherren, den Propst und das Kapitel, vertreten durch den Stiftsdechant, gab, wenn vom Grundbesitz des Marienstiftes gesprochen wird. Mathias Baux berichtet nur über den grundherrlichen Besitz des Propstes, nicht des gesamten Stiftes.21 Wie die internen Zuständigkeiten tatsächlich verteilt waren, ist aus den Quellen nicht erkennbar. Wenn im folgenden vom Grundbesitz des Stiftes geschrieben wird, ist immer der gesamte Besitz gemeint, unabhängig, ob es dem Propst oder dem Kapitel gehörte.

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, das Peter von Erkelenz/Peter Wymar von 1471 bis 1491 Stiftsdechant (Vorsteher des Kapitels) am Marienstift in Aachen war.

Über die in Erkelenz vorhandenen Besitztümer des Marienstifts gibt es in den Jahrhunderten unterschiedliche Aufzeichnungen. Beispielsweise bestand im 14. Jahrhundert der Besitz in Erkelenz/Oestrich aus Hofstellen, Hufenland, Mühlen, Wald, einer Brauerei, Höfchen und Hagestolzen.22

  • Hofstellen (Fronhöfen) einschließlich dem dazu gehörenden Land, dem sog. Herrenland: Ein Fronhof (mansus dominicatus) war ein agrarischer Betrieb, der vom Grundherren in Eigenbewirtschaftung oder durch Lehnsmänner betrieben wurde. Das zum Fronhof gehörende Herrenland wurde zum Teil von Unfreien (Hofhörigen) bearbeitet, zum Teil als Leihe- oder Hufenland gegen Abgaben- und Dienstleistung an freie oder halbfreie Bauern verpachtet. Es gab auch Fronhöfe ohne Salland und solche ohne Hufenland. Der Fronhof mit den dazugehörigen Gebäuden, mit dem Salland und dem Hufenland bildete eine Wirtschaftseinheit, die neben Ackerbau und Tierhaltung noch Garten- und Weinbau, Forst- und Teichwirtschaft betrieb.23
  • Hufenland: Das ist Land, das nicht einem bestimmten Hof (Herrenland) zugeordnet ist. Hufenland wurde von freien oder unfreien Bauern bearbeitet. Es war meist um den Fronhof als Zentrum gruppiert und bestand überwiegend aus Ackerland, nur zum kleinen Teil aus Wiesen.24
  • Höfchen: Das sind kleine Häuser mit Gärten, Kleinstbetriebe.
  • Hagestolze: Der Begriff „Hagestolz“ kommt von Hagbesitzer, der Besitzer eines kleinen Nebengutes, das keine Familie ernähren kann. Deshalb kann der Besitzer des Hagestolzes keine Familie gründen.25

Aus der Stadtchronik des Mathias Baux wissen wir, dass die Fronhöfe des Kapitels vom Schultheißen sowie den Schöffen zu Lehen gegeben werden mussten. Die Frohnhöfe des Propstes (das waren seit 1326 alle) wurden dagegen vom Schultheiß allein in Gegenwart von zwei Lehnsmännern verliehen, die Schöffen waren ausdrücklich ausgeschlossen. Der Schultheiß erhielt als Vergütung ein Viertel Wein und die beiden anderen jeweils zwei Quart Wein. 26

In seiner Chronik nennt Baux u. a. die Hofstellen und die Lehnsmänner. Die Hofstellen werden in der Stadtchronik als „freie Manngüter des Propstes von Aachen im Kirchspiel von Erkelenz gelegen, die dem Propst oder seinem Schultheißen zur Belehnung zustehen“ bezeichnet.
Ein propsteiliches Manngut ist ein dem Stift zugehöriges bäuerliches Lehen, ein Hof, der nur im Mannesstamm an die nächste Generation weitergegeben wird. Fehlt ein männlicher Nachkomme, fällt es an den Propst als Lehnsherrn zurück.
Die Verlehnung der Manngüter ausschließlich an Männer hing wohl damit zusammen, das sie als Lehnsleute ursprünglich zum Dienst mit der Waffe verpflichtet waren.27

Viele der Erkelenzer Schöffenfamilien stammen von solchen Manngütern. In Heft 4 der Schriften des Erkelenzer Geschichts- und Altertumsverein nennt E. von Oidtmann eine Vielzahl Erkelenzer Schöffen28 und beschreibt dann ausführlich die Schöffengeschlechter Spiegel, Udman und Middelman.29

In der Stadtchronik des 16. Jahrhunderts von Mathias Baux erscheint der propsteiliche Besitz mit 10 Manngütern, dazu kommt der Allodialbesitz des Kapitels. Dies zeigt deutlich, dass der Besitz des Stiftes in Erkelenz nicht unerheblich war. Verglichen mit anderen Grundherrschaften war Erkelenz der größte und umfassenste Besitz des Marienstiftes.30 Herborn/Krings beschreiben ausführlich den Grundbesitz des Stiftes in Erkelenz aus einem Güterverzeichnis, das wahrscheinlich aus dem 12. Jahrhundert stammt.31

© Heimatverein der Erkelenzer Lande | Klaus Flink | Kirchspiel Erkelenz
Die Güter des Marienstiftes -Propst und Kapitel- in Erkelenz

Zur Lage der Besitztümer sei gesagt, dass sich z. B. im 16. Jahrhundert die Fronhöfe bzw. die Manngüter des Proptes in Bellinghoven (3), in Tenholt (2), in Commerden (1), in Mennekrath (1), in Kückhoven (1), in Oestrich (1) und in Buscherhof (1) befanden.
Orte, in denen das Kapitel seine Güter hatte (Allodialbesitz) waren Oerath, Buscherhof, Oestrich, Mennekrath, Etgenbusch, Terheeg, Grytbusch, Wockerath, Bellinghoven und Commerden.32

Auch in Hohenbusch – das gehörte aber nicht zu Erkelenz – hatte das Kapitel Besitztümer. Am 12. Juli 1305 übertrugen Dekan und Kapitel des Marienstifts in Aachen den Hof mit allen Rechten und gegen einen jährlichen Zins von vier Aachener Mark den „fratres monasterii in Hohbusch, ordinis S. Crucis“, nachdem bereits drei Jahre zuvor, also 1302, die ersten Kreuzbrüder in Hohenbusch ihre Arbeit aufgenommen hatten.33

Zusammenfassend ergibt sich, dass der Grund und Boden in Erkelenz größtenteils dem Marienstift gehörte.

Bewirtschaftung des Landes

Die Grundherren (Propst und Kapitel) haben den Grundbesitz nicht selbst bewirtschaftet. Es gab drei Gruppen für die Bewirtschaftung:34

  • die Freien bzw. Adligen, die die Herrschaft ausübten,
  • die Zensualen (Zensualen oder Zinsbauern waren Angehörige des Bauernstands, die gegenüber dem Grundherrn zur Leistung von bestimmten Geldabgaben (Zinsgeld) ) verpflichtet waren35), die persönlich aber frei waren und einen Zins zahlten sowie
  • die Hörigengruppe, die aber nicht rechtlos war.

Die Abgaben waren unterschiedlichster Art, je nachdem um welchen Grundbesitz es sich handelte. Die Abgaben der Inhaber von Fronhöfen (Lehen) bestanden aus Geldleistungen und Naturalien. Die Inhaber von Hufenland, die keine Dienste leisten mussten, entrichteten nur Abgaben, fast auschließlich aus Geld bestehend. Unfreie, die Hufeland bewirtschafteten, werden nicht verzeichnet, wahrscheinlich gingen ihre Abgaben an den Fronhof und sie mussten ja auch Dienste leisten.

Eine Besonderheit ist die sogenannte Kurmede (im Mittelalter Abgabe vom Nachlass eines Grundhörigen an seinen Herrn, die häufig im besten Stück Vieh (Besthaupt, Kurmede) oder im besten Gewand (Gewandfall) bestand36). Diese bedeutet, dass der Aachener Propst für sich das Recht hatte, beim Tode eines Lehnsmannes aus der Hinterlassenchaft ein Stück auszuwählen, meist ein Pferd oder sonst ein ihm brauchbar scheinendes Tier. Oft wurde aber auch diese Abgabe durch den entsprechenden Geldwert bezahlt.37

Weiterer Besitz

Das Aachener Marienstift besaß in Erkelenz im 13. Jahrhundert sechs Mühlen. Davon waren fünf kleinere in Oestrich und eine große in Erkelenz. Es ist nicht bekannt, um welche Art der Mühlen es sich handelte, wahrscheinlich waren es zunächst Rossmühlen (historischer Mühlentyp zur Erzeugung von Antriebskraft durch Menschen oder Tiere), die dann durch Windmühlen ersetzt wurden. Die erste erwähnte Windmühle (1423) befand sich auf der Stadtmauer in der Nähe des Mahrtores. In dem schon erwähnten Vertrag des Marienstifts aus dem Jahre 1326 werden statt 6 Mühlen nur noch 2 Mühlen aufgeführt.38

In dieser Zeit gehört auch ein Brauhaus zum Besitz des Stiftes.

Der Zehnt

Beim Kirchenzehnt handelt es sich um eine rein kirchliche Abgabe, die an sich nichts mit der Grundherrschaft zu tun hat. Für Erkelenz und Oestrich ist das Marienstift jedoch zugleich Grund· und Zehntherr. Aus diesem Grund werden diese Abgaben auch im Aachener Güterverzeichnis aufgeführt. Sie sind sogar besonders wichtig für das Stift, da sie insgesamt die aus der Grundherrschaft resultierenden Abgaben bei weitem übertreffen. Im 12. Jahrhundert wird der Zehnt vom Marienstift nur auf landwirtschaftliche Erträge erhoben.39

Im 13. Jahrhundert wird in einem Güterverzeichnis des Stiftes ein Zehnthof in Erkelenz erwähnt. Auf einen Zehnthof oder Zehntscheune deutet auch die alte Lagebezeichnung „Am Zehntkamp“ hin.

Zehnthof um 1550

Zehnthof um 1550. Ausschnitt aus „Erkelenz 1550“ von Willi Wortmann.

Die Gärten, die Hermann Josef Gormanns im Jahre 1867 der Pfarre für seine Stiftung vermachte und auf deren Grund das Krankenhaus gebaut wurde, werden in Gormanns Testament „am Zehntkamp“ bezeichnet. Diese Grundstücke lagen an einem Weg (heute Hauptschule am Zehnthofweg) zur Stadtmauer und hinter dem späteren ehemaligen Franziskanerkloster.40

© Heimatverein der Erkelenzer Lande | unbekannt | Erkelenz-Sektion-P-2-1-x

Das Ende des Besitzes in Erkelenz

Die französische Besetzung des linken Rheinlands im Jahre 1794 war auch für das Marienstift Aachen von besonderer Bedeutung. Durch die Besetzung kam es zu einer Enteignung von Klöstern und Stiften bzw. zu deren Auflösung.

Der Besitz des Marienstiftes im Erkelenzer Raum wurde ja nicht in Eigenregie betrieben, sondern war verpachtet. Für die Pächter änderte sich nun im Grunde nicht viel. Sie mussten ihre Abgaben jetzt an die französische Verwaltung richten. Sollten sie jedoch trotzdem ihre Zahlungen an das Marienstift gegeben haben, wurde dies für ungültig erklärt. Sie mussten dann unter Umständen die Abgaben nochmals leisten.

Im Mai 1803 begannen die Verkäufe der eingezogenen Güter, sie dauerten bis 1813. Leider ist aus der Literatur nicht zu ersehen, was dann genau mit dem Erkelenzer Besitz geschehen ist.

Das Marienstift und die Pfarrkirche Sankt Lambertus

© Geschichte der Stadt Erkelenz | unbekannt | Sankt Lambertus

Der Grundherr besaß in der Regel auch das Patronatsrecht über die Kirchen, die in seiner Grundherrschaft lagen. Das Marienstift Aachen hatte dieses Patronatsrecht in Erkelenz und damit für die Pfarrkirche Sankt Lambertus. Das Patronatsrecht bedeutete u. a., dass das Marienstift das Vorschlagsrecht für die Besetzung der Pfarrstelle in Erkelenz hatte, die Ernennung lag allerdings beim zuständigen Bischof. Aus den Chroniken weiß man, dass es gelegentlich zu Problemen zwischen den beiden gekommen ist.

Ob die Kirche in Erkelenz bereits zur Zeit Immos oder schon früher Pfarrrechte besessen hat, ist unklar. Zum ersten Male wird kurz vor 1200 in dem
Güterverzeichnis des Aachener Marienstifts die Kirche von Erkelenz als Besitzer des Zehnten erwähnt, von dem der jeweils diensttuende Priester (sacerdos ibi serviens) ein Drittel erhielt; außerdem waren der Kirche Ländereien und fünf Hörige zugewiesen.41 Die Entwicklung der Pfarrei Erkelenz haben Herborn/Krings ausführlich beschrieben.42

Zur Pfarrei Erkelenz gehörten Bellinghoven, Genehen, Mennekrath, Oerath, Oestrich, Tenholt, Terheeg, Wockerath und zunächst auch Kückhoven. Kückhoven wurde 1340 eigene Pfarre. Im Jahre 1560 kam auch die Ortschaft Matzerath, die bisher zur Pfarre Schwanenberg gehörte, zur Pfarre Erkelenz.

In einer Urkunde des Bischofs von Lüttich vom 30. August 1340 43 wird das Präsentationsrecht des Stiftes erwähnt und gleichzeitig wird die Pfarre Erkelenz ins Marienstift inkorporiert (aufgenommen). Auch die Aufteilung der Einnahmen wird geregelt.

Mathias Baux erwähnt in seiner Chronik auch die Beziehung des Marienstiftes zur Pfarrkirche Sankt Lambertus.44 Beim großen Stadtbrand 1540 brannte fast die gesamte Altstadt ab. Auch die Pfarrkirche war betroffen, Dachstuhl und Kirchenschiff wurden zerstört. Das Stift in Aachen wurde danach aufgefordert, die Schäden zu reparieren, dies wurde aber abgelehnt, da das Stift dazu rechtlich nicht verpflichtet sei. Man war allerdings bereit, 300 Geldrische Rittergulden zu geben, sozusagen aus „Mitleid“, wie Baux berichtet. Da diese Summe für die Reparatur viel zu wenig war, wurde das Angebot abgelehnt und die komplette Reparatur gefordert. Dies wiederum lehnte das Stift ab. Die Erkelenzer wandten sich dann an den Landtag, der in Nimwegen tagte. Diesem gelang es, dass das Stift dann doch die Reparatur bezahlte. Für 665 Geldrische Rittergulden und zwölf Malter Roggen wurde mit zwei Dachdeckern aus Roermond der Vertrag zum Wiederaufbau geschlossen. Diesen Vertrag, der interessante Details zum Wiederaufbau enthält, hat Baux in seiner Chronik festgehalten.45

46
  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Marienstift_(Aachen) (Stand 01/2024)
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Marienstift_(Aachen) (Stand 01/2024)
  3. Einzelheiten siehe Herborn/Krings, a. a. O., Seite 15
  4. Einzelheiten siehe Herborn/Krings, a. a. O., Seite 52 ff
  5. Theo Schreiber in Band 12 der Schriftenreihe des Heimatvereins, „Erkelenz – eine Stadt im Wandel der Geschichte Strukturen und Funktionen 966 -1991“, Seite 43 ff
  6. https://de.wikipedia.org/wiki/Grundherrschaft (Stand 01/2024)
  7. https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/geschichte/artikel/lehenswesen-und-grundherrschaft (Stand: 01.2024)
  8. https://de.wikipedia.org/wiki/Grundherrschaft (Stand: 01.2024)
  9. Mathias Baux, a. a. O., Seite 288
  10. https://de.wikipedia.org/wiki/Schultheiß (Stand 01/2024)
  11. Herborn/Krings, a. a. O., Seite 59 und 67
  12. Gaspers/Sels, a. a. O., Seite 13 ff
  13. Gaspers/Sels a. a. O., Seite 10
  14. https://leben-im-mittelalter.net/gesellschaft-im-mittelalter/recht.html?eprivacy=1 (Stand: 01/2024)
  15. Barbara Karbig, a. a. O., Seite 80
  16. Gaspers/Sels, a. a. O., Seite 41
  17. Barbara Karbig, a. a. O., Seite 51
  18. Baux, a. a. O. Seite 391 und 559 und Urkunden, a. a. O., Seite 23
  19. Barbara Karbig, a. a. O., Seite 52
  20. https://de.wikipedia.org/wiki/Allod (Stand 02/2024)
  21. siehe auch Kümper, a. a. O., Seite 94
  22. Barbara Karbig, a. a. O., Seite 63
  23. https://www.mittelalter-lexikon.de/wiki/Fronhof (Stand 012/2024)
  24. https://www.mittelalter-lexikon.de/wiki/Salland (Stand 01/2024)
  25. Barbara Karbig, a. a. O., Seite 67 und https://www.wortbedeutung.info/Hagestolz/ (Stand 01/2024)
  26. Baux, a. a. O. Seite 300, siehe auch Therese Frauenrath, a. a. O., Seite 76
  27. Baux, a. a. O. Seite 291 ff und auch Therese Frauenrath, a. a. O., Seite 77
  28. Oidtmann, a. a. O., Seite 7
  29. Oidtmann, a. a. O., Seite 10 ff
  30. Herborn/Krings a. a. O., Seite 60
  31. Einzelheiten siehe Herborn/Krings, a.a.O., Seiten 54/55 ff
  32. Barbara Karbig, a. a. O., Seite 70
  33. Band 27 der Schriftenreihe des Heimatvereins, Seite 24
  34. Herborn/Krings, a. a. O., Seite 58
  35. https://de.wikipedia.org/wiki/Zinsbauer (Stand 01/2024)
  36. https://www.wissen.de/lexikon/besthaupt (Stand 01/2024)
  37. Gaspers/Sels, a. a. O., Seite 15 und Baux, a. a. O. Seite 427
  38. Herborn/Krings, a. a. O., Seiten 74/75 und Barbara Karbig, a. a. O., Seite 71
  39. Barbara Karbig, a. a. O., Seite 72
  40. Siehe Lennartz/Goertz „Erkelenzer Straßen“, a. a. O., Seite 160
  41. Herborn/Krings, a. a. O., Seite 51
  42. Herborn/Krings, a. a. O., Seite 47 ff
  43. a. a. O., Seite 24
  44. Baux, a. a. O. Seite 395 ff
  45. Baux, a. a. O. Seite 408 ff
  46. Text von Günther Merkens 2024 für den Heimatverein der Erkelenzer Lande
  1. Dieter Kastner, Die Urkunden des Stadtarchivs Erkelenz: Regesten. Brauweiler, 2001, Seite 23 und 24
  2. Heimatverein der Erkelenzer Lande e.V. (Hrsg.), Schriftenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande e.V.. Band 11; Barbara Karbig: "Die Grundherrschaft des Aachener Marienstiftes in Erkelenz"
  3. Hiram Kümper (Hrsg.), Mathias Baux: Chronik der Stadt Erkelenz und des Landes von Geldern. Faksimile - Transkription - Übersetzung, Band 1. Neustadt an der Aisch, ISBN: 978-3-9815182-9-0, 2016
  4. Gaspers/Sels, Geschichte der Stadt Erkelenz . Erkelenz, 1926
  5. Hiram Kümper (Hrsg.), Mathias Baux: Chronik der Stadt Erkelenz und des Landes von Geldern. Erläuterungen - Kommentare, Band 2. Neustadt an der Aisch, ISBN: 978-3-9815182-9-0, 2016
  6. Stadt Erkelenz (Hrsg.), Schriftenreihe der Stadt Erkelenz. Herborn/Krings: Kulturlandschaft und Wirtschaft im Erkelener Raum, Seiten 11 bis 136
  7. Heimatverein der Erkelenzer Lande e.V. (Hrsg.), Schriftenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande e.V.. Band 8: Therese Frauenraht "Tenholt - ein Dorf im Erkelenzer Land", Seite 73 ff

Wenn Sie uns Feedback zu diesem Artikel senden möchten, nutzen Sie bitte dieses Kontaktformular:

    * Pflichtfeld

    VIRTUELLES MUSEUM © 2024
    Datenschutz Impressum Kontakt