Die Besetzung des Rheinlandes durch die Franzosen
Ab 1792 waren die französischen Revolutionäre bestrebt, ihre Ideen auch in die Nachbarstaaten von Frankreich zu tragen. Am 20. April 1792 erklärte Frankreich Österreich den Krieg (sog. Erster Koalitionskrieg). Die Revolutionsheere rückten in die österreichischen Niederlande vor. Völlig überraschend verlor das Koalitationsheer (Östereich und Preußen u. a.) die Schlacht von Valmy (heute im Département Marne). Kurze Zeit danach konnten die Franzosen Aachen besetzen. 1792/1793 (u. a. 1. Schlacht bei Aldenhoven) schien der Vormarsch der Franzosen gestoppt und sie wurden zurückgedrängt, aber im Juni 1794 stießen die Franzosen erneut bis ins linksrheinische Gebiet vor. Nach dem Sieg der Franzosen in der 2. Schlacht bei Aldenhoven am 2. Oktober 1794 besetzten diese dann das Rheinland.
1798 wurden die besetzten Gebiete zwischen Maas und Rhein in vier Départements aufgeteit, Aachen wurde Hauptstadt des Département de la Roer. Durch den Frieden von Lunéville vom 09. Februar 1801 wurden die bisherigen besetzten linksrheinischen Gebiete Teil der französischen Republik, der Rhein bildete die Grenze.
Die Franzosen in Erkelenz
Besetzung der Stadt
Morgens, am 3. Oktober 1794, überschritt das französische Heer bei Linnich und Coerrenzig die Rur, nachdem bei Coerrenzig eine Pontonbrücke geschaffen worden war („aus sechs kupfernen Schiffen“). Die Österreicher zogen sich in Richtung Köln zurück und versuchten noch einmal erfolglos bei Odenkirchen Widerstand zu leisten. Vor Sonnenuntergang des gleichen Tages rückten französische Truppen durch das Maar Tor in die Stadt Erkelenz ein. An Widerstand war nicht zu denken. Erkelenz hatte bereits seit der Belagerung von 1674 aufgehört, eine wirkliche Festung zu sein. Wohl waren noch die Tore vorhanden, welche von den Wächtern jeden Abend abgeschlossen wurden. Aber die Mauern waren zerfallen, die Stadtgräben versumpft und die Wälle waren bewachsen. Auch hatten die brutalen Requisitionen der Kroaten und Ungarn, die als Teil des Koalitionsheeres u.a. im Erkelenzer Land Station machten, bei der Bevölkerung keine Sympathie gefunden, man sah sie deshalb gerne abziehen. So ergab sich Erkelenz ohne Widerstand den französischen Truppen. 1
Erkelenz erhielt eine ständige Besatzung, Teile des 6. französischen Jägerregiments zu Pferde hatten fast dauernd in Erkelenz ihren Standort. Über die schwere Einquartierung klagt der Magistrat in einem Beschluss vom 25. Januar 1798: „Die Stadt sei bis Dato mit Einquartierungen von Kavallerie und Carretiers (Fuhrleuten) so überhäuft und beladen gewesen und habe daher so häufig Fourage beschaffen müssen, daß aller Vorrat an Heu und Hafer vollends aufgerieben worden.“ 3
Im April 1797 kamen zu den bisherigen Truppen noch die 1., 2. und 6. Kompanie des französischen 1. Dragonerregiments. Die 6. Kompanie lag halb in Oerath und halb in Grambusch, ein Teil der 2. Kompanie war in Matzerath. Wenn man bedenkt, dass zu der eigentlichen Stadt Erkelenz damals nur der Teil innerhalb des Promenadenringes gehörte, so war die Einquartierung außerordentlich hoch und bedrückend. Das Verhältnis zwischen Besatzung und Bevölkerung war nicht immer reibungslos.
Das Leben in der Stadt
Die Besatzungstruppen versorgten sich dadurch, dass sie aus der Erkelenzer Bevölkerung herausholten, was möglich war. Die Franzosen versuchten aber auch, Propaganda für die Revolution zu machen. Dazu gehörte u. a. die Errichtung des Freiheitsbaumes.
Die Zivilgewalt lag in den Händen von Volksbeauftragten, welche von den Besatzungstruppen kontrolliert wurden. Erkelenz gehörte zunächst zum Kanton Jülich, dann Wassenberg und wurde ab Juni 1798 ein selbstständiger Kanton im Arrondissement Crefeld. Im Jahre 1796 hatte Erkelenz drei Munizipalitätsmitglieder, deren Hauptaufgabe darin bestand, die von den Franzosen ausgesprochenen Requisitionen herbeizuschaffen. Interessant ist, dass die Franzosen sehr um die Instandhaltung der öffentlichen Wege und Straßen bemüht waren. Im Jahre 1795 wurde mit dem Bau der Heerstraße von Aachen über Erkelenz, Gladbach und Crefeld nach Duisburg begonnen. In der Zeit von September 1796 bis Anfang 1798 war der Advokat Dr. Gormanns (vielleicht identisch mit Johann Adam Gormanns?) der Vorsitzende der Munizipalität. Im Jahre 1800 wurde die Munizipalität durch einen Maire (Bürgermeister) ersetzt, der vom Präfekten ernannt wurde. 1789/90 war Heinrich Josef Jansen der erste Bürgermeister in der Franzosenzeit. Wie im Mittelalter wurden die Bürgermeister jeweils am Feste Petri Stuhlfeier für ein Jahr eingesetzt. In „Geschichte der Stadt Erkelenz“ sind alle Bürgermeister in der Franzosenzeit genannt.4
Dem Bürgermeister standen ein oder mehrere Beigeordnete zu Seite. Erkelenz hatte zwei Beigeordnete, wovon einer aus Kückhoven kommen musste. Letzter Bürgermeister in der Franosenzeit war von 1808 bis 1814 Johann Adam Gormanns (Vater von Hermann Josef Gormanns), der in Westrich geboren wurde. Im Jahre 1806 zählte die Mairie Erkelenz 4003 Einwohner, Gerderath 839 und Schwanenberg/Grambusch 847.5 Im Jahre 1798 wurde der ausschließliche Gebrauch der französischen Sprache bei allen administrativen und richterlichen Handlungen verfügt. Am 01. Mai erfolgte die Einführung des Personenstandsregisters. Die bisher von der Kirche geführten Kirchenbücher mussten an die Mairien abgegeben werden.
Heute noch sichtbares Zeichen der Franzosenzeit ist das 1806 erbaute „Haus Spiess“. Die spätbarocken und klassizistischen Züge des „Couvenstils“ waren typisch für den Aachener Architekten, nach dem dieser Baustil benannt wurde. Seinen Namen erhielt das Haus nach seinem Bauherrn Johann Joseph Spiess. Er war ehemaliger Offizier der Leibwache des französischen Königs Ludwig XVI. und wurde unter Napoleon in Erkelenz als Domänenverwalter und Rentmeister für die Kantone Erkelenz und Odenkirchen im Arrondissement Crefeld eingesetzt.
Neuordnung der Gerichtsbarkeit
Die grundlegende Änderung der Verwaltung machte auch vor der Justiz nicht Halt. Im November 1794 wurden die ersten Friedensgerichte, die die alten erstinstanzlichen Untergerichte vollständig ablösten, errichtet und im Jahre 1798 neu geordnet. Als Cantonsstadt wurde Erkelenz Sitz eines solchen Friedensgerichts. Die Friedensgerichte, mit einem Friedensrichter (juge de paix) besetzt, entschieden in Zivilsachen nach dem code civil.
Der Friedensrichter wurde vom Staat nur schlecht ausgestattet. So gab es keine staatlichen Tagungsstätten, vielmehr musste der Richter selbst für einen geeigneten Raum sorgen. Wo diese Tagungsstätte in Erkelenz war, ist nicht bekannt. 6
Einfluss auf die Kirchen
Die Ideen der Revolution stimmten mit denen der Kirchen nicht überein. So war es nicht verwunderlich, dass es zu Spannungen kam. Die Kluft zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Besatzern wurde noch vergrößert durch die fanatische Religionsfeindschaft der Franzosen. Am 2. Mai 1798 wurden alle öffentlichen religiösen Zeichen und Zeremonien außerhalb der kirchlichen Gebäude, also Wallfahrten, Prozessionen und Leichenzüge, untersagt und infolgedessen überall die Kreuze an öffentlichen Wegen und auf den Kirchhöfen entfernt. Von der Bevölkerung wurden oft die Kreuze versteckt. Für die Protestanten, die bisher vielfach nur geduldet waren, gab es eine Gleichstellung mit den Katholiken, alle Konfessionen waren gleichberechtigt.7
Für die katholische Kirche trat mit dem Ersten Konsul eine etwas ruhigere Zeit ein. Nach Abschluss des Konkordates mit dem Papst Pius VII. wurde im Jahre 1802 für das besetzte linke Rheinufer das Bistum Aachen geschaffen. Der erste Bischof war Marc-Antoine Berdolet, den Napoléon ernannte. Im Juli 1821 wurde das Bistum Aachen wieder aufgelöst. Die Pfarre wurde zur Kantonalpfarre erhoben. Am 16. Januar 1802 ernannte der Generalvikar von Roermond den in Terheeg 1735 geborenen Anton Evertz zum Kantonalpfarrer.
Die kirchenpolitische Entwicklung in Frankreich schlug der katholischen Kirche schwere Wunden. Nachdem bereits durch die Revolution und die Republik die Klöster aufgehoben und die kirchlichen Güter konfisziert worden waren, wurden durch Napoleonisches Dekret vom 10. Juni 1802 die Güter der Kirchen und Klöster auch im Roerdépartement eingezogen und der Verwaltung der Nationaldomänen überwiesen. Die Domänenverwaltung der Kantone Erkelenz und Odenkirchen hatte ihren Sitz in Erkelenz, Verwalter war u. a. der schon erwähnte Johann Joseph Spiess.
In Erkelenz wurde das Franziskanerkloster von dem Dekret betroffen. Die Klostergebäude fielen an die Stadt, welche diese später u. a. zu Schulzwecken
verwandte. Die Kirche erklärte der Aachener Bischof zur Nebenkirche der Pfarrkirche Sankt Lambertus. Einige der aus dem Kloster vertriebenen Franziskaner blieben in Erkelenz oder Umgebung.
Nicht besser erging es dem Kreuzherrenkloster Hohenbusch. Die Kirche und zwei Flügel der Klostergebäude wurden niedergelegt. Die Ausstattung der Kirche (u. a. die Orgel) kam zum Teil an die reformierte Gemeinde in Linnich, wo sie sich teilweise heute noch befindet. Andere Gegenstände kamen in Kirchen der Umgebung. Die umfangreiche Bibliothek wurde zum Teil nach Paris gebracht oder ging in den Wirren nach der Säkularisation verloren. Einige Bücher sind jedoch erhalten geblieben und befinden sich heute in der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln. Die restlichen Gebäude der Klosteranlage wurden verkauft und lange Zeit als landwirtschaftlicher Betrieb genutzt. Die Klosterbrüder blieben teilweise als Priester im Erkelenzer Land.8
Auch die Gasthauskirche in Erkelenz fiel der Säkularisation zum Opfer. Im Jahre 1802 wurden das Gasthaus und die Leonhardskapelle aufgelöst und die Kapelle der Stadt Erkelenz zu Schulzwecken überlassen.
Das Elementarschulwesen
Über das Elementarschulwesen in Erkelenz ist bis zum Ende der Franzosenzeit kaum etwas bekannt. Im Jahre 1734 wurde auf dem Markt (neben dem Alten Rathaus) ein neues Schulhaus gebaut, das also auch noch während der Franzosenzeit genutzt wurde. Im Jahre 1825 wurde dieses Gebäude durch die Umwandlung der Gasthauskapelle zur Schule ersetzt.9 Während der französischen Zeit hat das Elementarschulwesen in Erkelenz wenig Förderung und Pflege erhalten.
Anwerbung von Soldaten und Lieferung von Gütern
Die Kriege Napoleons und die ungeheuren Verluste auf den Schlachtfeldern Europas erforderten immer neue Soldaten. Rücksichtlos gingen die französischen Werber in den besetzten Gebieten vor. Bei Nacht und Nebel wurden die zum Wehrdienst Berufenen aus ihren Dörfern geholt und oft sogar gefesselt und mit Gewalt weggeschleppt (z. B. in Roerdorf, Floßdorf, Ederen und Rurich). Aus der Bürgermeisterei Gerderath starben 20 junge Männer auf den Schlachtfeldern Napoleons. Aus der Gemeinde Schwanenberg weiß man, dass im Jahre 1812 fünfzehn junge Männer in der Armee Napoleons dienten.10
Um das für die Unterhaltung der Armeen notwendige Geld herbeizuschaffen, machte Frankreich ganz gewaltige finanzielle Anstrengungen. So wurde die Veräußerung sämtlicher Gemeindegüter mit Ausnahme der Waldungen angeordnet. Infolge dieser Maßnahme wurden auch die beiden städtischen Mühlen von Erkelenz, die Oerather und Bellinghover Mühle, verkauft.
Im Jahre 1813 wurden die Aufgebote an Mannschaften wie auch die sonstigen Lieferungen auf höchste gesteigert. Der Kanton Erkelenz lieferte in diesem Jahre 58 Pferde, 398 Sack Weizen, 87 Sack Roggen, 3397 Hektoliter Hafer, 32600 Kilogramm Frischfleisch, 39 Hektoliter Branntwein und 30 Hektoliter Wein an die französischen Magazine. Außerdem zahlte der Kanton in Bargeld 7990 Franc an die Armee.
Das Ende der Besetzung
Nach der Völkerschlacht bei Leipzig (Oktober 1813) hielten sich noch Teile der im Rückzuge begriffenen französischen Truppen in der Stadt und Umgebung auf. Vor den herannahenden Truppen der verbündeten Russen und Preußen flohen sie aber in aller Eile.
Am 15. Januar 1814, mittags zwischen 13 und 14 Uhr, zogen die ersten Kosaken in die Stadt Erkelenz ein. Sie hatten bei Düsseldorf den Rhein überquert und mussten auf ihrem Zuge westwärts den Weg über Erkelenz nehmen, weil die Festung Jülich noch von einer starken französischen Besatzung gehalten wurde. In den Jahren 1814 /15 zogen durch Erkelenz immer wieder russische, schwedische und preußische Truppen, die zu der entscheidenden Schlacht bei Waterloo (18.06.1815) unterwegs waren. Die durchziehenden Soldaten belasteten die Stadt bis an die Grenze des Möglichen.
Im Jahre 1814 war die Franzosenzeit zu Ende, die Stadt atmete auf. Im Mai 1814 wurden die „französischen Rheinlande“ als Generalgouvernement vom Nieder- und Mittelrhein in preußische Verwaltung übernommen. Der Wiener Kongress brachte dann im Januar 1815 die Länder auf dem linken Rheinufer endgültig in den Besitz Preußens. Am 15. April 1815 kam Erkelenz an Preußen. Die Befreiungsfeier, welche am 23. April in Erkelenz veranstaltet wurde, ließ wenig Freiheitsjubel erkennen.11
- Gaspers/Sels, a. a. O., Seite 53 und 55
- Das Karte ist getitelt: „Camp d’Erkelens“, vermutlich französische Artilleriekarte von 1758 vor der Schlacht bei Krefeld“. Zu dieser Zeit waren französische Truppen nicht am Niederrhein. Wahrscheinlich ist die Karte um 1794 entstanden. Die Schreibweise der Orte lässt eindeutig erkennen, dass sie in der Franzosenzeit entstanden ist.
- Gaspers/Sels, a. a. O., Seite 57
- Gaspers/Sels, a.a.O., Seite 61
- Gustav Voss, a. a. O., Seite 135
- Dr. Horbach in Band 22 der Schriftenreihe des Heimatvereins, Seite 270
- Gustav Voss, a. a. O., Seite 140
- Einzelheiten dazu im Buch „HOHENBUSCH“, Seite 104 ff.
- Josef Lennartz, Band 5 der Schriftenreihe des Heimatvereins, Seite 67 und 73
- Gustav Voss, a. a. O., Seite 134
- Text von Günther Merkens 2022 für den Heimatverein der Erkelenzer Lande unter Benutzung des Berichtes von Leo Sels in „Geschichte der Stadt Erkelenz“, a. a. O., Seite 51 ff
- Geschichte der Stadt Erkelenz . Erkelenz, 1926, Leo Sels "Die Franzosenzeit", Seite 51 bis 69 ,
- Schwanenberg - Bilder einer Gemeinde in Vergangenheit und Gegenwart. Herausgegeben von der evangelischen Kirchengemeinde Schwanenberg, Schwanenberg, 1972, "Die Franzosenzeit", Seite 133 ff ,
- Lebensraum Hohenbusch. Verlag Rohr Köln, ISBN: 978-3-936655-15-5, 2020, Rita Hündgen "Hohenbusch im Wandel der Zeiten". Seite 104 bis 119 ,
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