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Erstürmung und Plünderung der Stadt im Mai 1674

sonstiger Name: Gerhard Welters - Verhandler bei Plünderungen im Holländischen Krieg
Stichworte: 17. Jahrhundert
09.05.1674 bis Jun. 1926

Das Geschehen im Überblick

© Heimatverein der Erkelenzer Lande e. V. | Mathias Baux | Baux Chronik Seite 173
Aus Baux Chronik Seite 173

Das in der Baux – Chronik geschilderte Ereignis der Erstürmung und Plünderung der Stadt Erkelenz im Jahr 1674 findet sich zwei Jahrhunderte später in gleicher Ausführlichkeit in der „Chronik der Stadt Erkelenz“ von Dr. G. Eckertz. Berichtet wird über Angriffe französischer und verbündeter kurkölnischer Truppen auf Erkelenz, denen die Stadt trotz starker Gegenwehr nicht standhalten konnte. Die Stadt war zur Kapitulation gezwungen. Trotz der gezahlten Kontributionen und der Kapitulation wurde die Stadt beschossen und geplündert. Die Stadtmauer musste an mehreren Stellen eingerissen und zwei Stadttore gesprengt werden. Da die weitere Schutzgeldsumme nicht gezahlt werden konnte, wurden drei Amtsträger der Stadt nach Maastricht überstellt, bis alle Geldforderungen erfüllt waren. – So weit die knappe Ereignisübersicht.

© Heimatverein der Erkelenzer Lande e. V. | Ingrid Hagel | Hausgiebel -Koelner-Tor-2
Ziegelstein-Relief zum Kölner Tor (Bellinghover Tor) von Peter Haak unter Mitwirkung von Ursula Klügel (1953/54) an der Fassade des Hauses Kölner Str. 15

Was ist an diesem Ereignis interessant, dass es nicht nur in zeitgenössischer Nähe bei dem anonymen Chronisten nach Baux, sondern auch Mitte des 19. Jhds. von Eckertz in gleicher Anschaulichkeit und Ausführlichkeit in die „Chronik der Stadt Erkelenz“ aufgenommen wurde?

Der politische Kontext

Die Einnahme und Plünderung der Stadt Erkelenz durch französische Truppen fand mitten im Holländischen Krieg (1672 – 1679), auch Niederländischer Krieg genannt, statt; es war der zweite von insgesamt vier Eroberungskriegen des französischen Königs. Das Ziel Ludwigs XIV. war, seine Macht und das französische Königreich zu erweitern.

Aufgrund seiner Heirat 1660 mit Marie Terese von Spanien erhob er Erbansprüche gegen die Spanischen Niederlande und Holland. Im 1. Krieg konnte u. a. durch die englische Unterstützung die erst kurz zuvor erreichte Unabhängigkeit Hollands verteidigt werden. Zudem hatte Ludwig XIV. im Vertrag von Aachen auf  Ansprüche auf die Spanischen Niederlande verzichten müssen. Bei dem weiteren Versuch, Holland seinem Herrschaftsgebiet zuzuschlagen, musste er sich um neue Verbündete und Strategien bemühen, da er keinen unmittelbaren Zugang nach Holland hatte. Im 2. Eroberungsversuch hatte Ludwig sich die Unterstützung des Kurfürsten und Erzbischofs von Köln gesichert sowie sich mit dem Herzog von Jülich verbündet. Ein strategisch wichtiges Angriffsziel war die Festungsstadt Maastricht, die der Belagerung nicht standhalten konnte und sich am 30. Juni 1673 ergeben musste.

© gemeinfrei | Adam Frans van der Meulen | Ludwig XIV. bei der Belagerung von Maastricht
Ludwig XIV. bei der Belagerung Maastrichts, Gemälde von Adam Frans van der Meulen
© gemeinfrei | Pierre Mignard | Ludwig XIV. vor Maastricht
Ludwig XIV. vor Maastricht, Gemälde von Pierre Mignard

Beide Bilder aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Belagerung_von_Maastricht_(1673) (Stand: 11.08.2025)

Mit der Eroberung der Stadt Maastricht durch Frankreich weitete sich der Holländische Krieg aus, denn Spanien und Österreich griffen in den Krieg ein. Ihr Ziel war es, eine weitere Expansion Frankreichs in die Spanischen Niederlande zu verhindern.

„Vor Beginn dieser Belagerung [Maastrichts] besetzten die Angreifer rundum Festungen und Städte des Herzogtums Jülich, so Düren, Aldenhoven, Linnich, Wassenberg, Heinsberg und Sittard, trieben Kontributionen ein und scheuten auch vor Plünderungen in dem mit ihnen verbündeten Land nicht zurück.“1

Aus dieser Lage ergab sich für Erkelenz eine zunächst eindeutige und auf den ersten Blick sicher erscheinende Situation. Erkelenz bildete seit 1543 eine Exklave der Spanischen Niederlande im Herzogtum Jülich und gehörte damit nicht zu den Angriffszielen der französischen Armee. Die Stadt war mit einer Befestigungsmauer umgeben und bildete ein überschaubares, aber abgeschlossenes Areal.  Allerdings war die Stadt rundum von mit Frankreich verbündetem Territorium umgeben; umgeben also von Städten, die durch die Truppen drangsaliert, finanziell und materiell ausgesaugt wurden. Erkelenz erschien damit für Bewohner des Jülicher Landes als vermeintlich sicheres Gebiet und wurde zu einer Fluchtoption.

Die territorial eindeutige Zuordnung von Erkelenz zu den Spanischen Niederlanden schützte die Stadt offensichtlich jedoch nicht vor Übergriffen von französischen und mit ihnen verbündeten Truppen, das belegt die Eintragung in der Stadtchronik.

„Vom einnehmen und ausplunderen deser Stadt“2

Der Angriff auf und die Einnahme von Erkelenz am 9./10. Mai 1674 traf eine am aktuellen Kriegsgeschehen unbeteiligte Stadt, die auf diese Weise ohne eigenes Zutun in die territorial- und machtpolitischen Interessensauseinandersetzungen der europäischen Herrscher geriet.

Die Belagerung und Einnahme der Stadt verlief in mehreren Wellen. Der Chronist beschreibt das Geschehen in Eskalationsstufen, die dem Muster einer Angst- und Zermürbungsstrategie folgen. Dem Angriff vorausgegangen waren Kontributionszahlungen an die Franzosen – wahrscheinlich im Jahr 1673. Über solche Zahlungen, die von eroberten oder besetzten Gebieten eingefordert wurden, finanzierte man die Versorgung der Soldaten und das Kriegsgeschehen. Erkelenz hatte Forderungen erfüllt, finanzielle Leistungen erbracht und sieht letztlich den Angriff als ungerechtfertigt.

Der Angriff zeigt daher auch, dass weder die Neutralität der Stadt noch Geldleistungen respektiert wurden.

  • 9. Mai: zwischen 7 und 8 Uhr morgens ist die Stadt von den Truppen eingeschlossen.
  • 9 Uhr: Trompeter signalisieren den bevorstehenden Angriff.
  • Zwischen 9 und 10 Uhr: Kanonenbeschuss  und Angriff am Bellinghover Tor. Es gibt drei abgewehrte Angriffsstürme, „darinnen der feyende uber die 400 thodt und gequetscht und an Unser nur drey soldaten bleiben und einer verwundet worden […]“.3
  • Zwischen 16 und 17 Uhr nachmittags: Kapitulation der Stadt durch Gerard Welters und Militär am Bellinghover Tor.
  • Währenddessen erfolgen der Einfall der Truppen durch das Oerather Tor, Beschuss innerhalb der Stadt und die Plünderung in Privathäusern, Kirche und Kloster.

Für die angerichteten Schäden verweist H. Kümper in den Erläuterungen zur Erkelenzer Chronik auf „eine umfangreiche Schadensliste im alten Archiv der Stände des Oberquartiers“4.

Der 10. Mai bringt eine Steigerung an Gewalt und Zerstörung für die Stadt.

  • Die Erkelenzer Bürger wurden gezwungen, mehrere Breschen in die Stadtmauer zu schlagen.
  • Zwei Stadttore (Oerather- und Bellinghover Tor) wurden gesprengt.
  • Diebstahl aller Nutztiere u. a. Pferde und Kühe
  • Schutzgeldforderung von 7000 Reichstalern [entspricht ca. 40 Jahresgehältern eines Leutnants] zur Abwehr von Brandschatzung und Glockenabtransport

Die dritte Verschärfung der Situation ergibt sich daraus, dass der Schöffe Gerard Welters und zwei weitere Bürger am 11. Mai bis zur Zahlung einer geforderten Summe in Geiselhaft genommen und nach Maastricht überstellt werden. Die Forderung kann nach sieben Tagen beglichen werden.

Selbst wenn das Geschehen in der damaligen Zeit nicht singulär war, zeigen  diese  Krieggeschehnisse dennoch beispielhaft für Erkelenz die Rücksichtslosigkeit, Willkür und Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung und die daraus resultierende soziale und wirtschaftliche Notlage. Es ist nichts anderes als ein regionalgeschichtliches Beispiel im Kontext eines europäischen Konfliktes. Unter den 2025 aktuellen medialen Informationsbedingungen wäre ein solches Geschehen in einer Bilderstrecke über das Zerstörungsausmaß und die traumatisierten Menschen festgehalten worden.  

Für die Stadtgeschichte ist u. a. die Benennung der Tore und die Nennung von Akteuren interessant. Solch konkrete Nennungen vermitteln Authentizität, sie untermauern zudem den Glaubwürdigkeitsanspruch des Dargestellten.

Brief an die französische Militärverwaltung

Ein seit 1976 bekanntes Briefdokument vom 24. Mai 1674 an die französische Militärverwaltung in Maastricht5 bestätigt und erweitert in vielen Details die Darstellung der Chronik. Dieser Brief wurde von F. Krings ins Hochdeutsche übertragen und im Heimatkalender des Kreises Heinsberg (1978) erläutert. Das Schreiben, das von drei ehemaligen Bürgermeistern der Stadt und dem im Mai 1674 amtierenden unterzeichnet ist, rekapituliert die bekannten Fakten und ergänzt, dass die Stadt insgesamt von den französischen und sie unterstützenden Truppen zehn Mal ausgeplündert wurde. Im Schreiben wird die Androhung weiterer Gewalt konkretisiert, „Erkelenz mit 4000 Flamen heimzusuchen“; die genannte Zahl ist angesichts einer Zahl von vermutlich unter 1000 Einwohnern angsteinflößend. Die Stadt sei durch das Kriegsgeschehen „in äußerste Not, Ohnmacht, höchstes Elend und in Armut geraten“, resümieren die Verfasser. Trotz der Plünderungen und der geleisteten Zahlungen halte die enorme Bedrohungslage durch den „fortwährenden und anhaltenden Alarm“ an und es sei „täglich das Niederbrennen der Stadt zu befürchten“. Den aus dieser Situation erwartbaren Ruin vor Augen lautet die Bitte an den Adressaten, „mit Rücksicht auf den oben angezeigten Schaden eine Zeit lang [kein konkreter Zeitrahmen genannt] von Abgaben und Schatzungen an das Gouvernement Maastricht befreit“ zu werden.6

Der Brief dokumentiert neben der präzisen aktuellen wie zukünftigen Situationskennzeichnung und der unmissverständlichen Erwartung an die französische Militärverwaltung ein hohes Maß an bürgerlichem und politischem Verantwortungsbewusstsein. Zu den vier Unterzeichnern des Schreibens gehört auch Gerard Welters, der erst eine Woche zuvor mit zwei weiteren Erkelenzer Bürgern als Geisel freigekauft worden war.

Überlieferung und Erinnerung

Die Erinnerung an diese existenzbedrohende Phase der Stadtgeschichte ist über Jahrhunderte aufrechterhalten worden. Der Fortschreiber der Chronik der Stadt Erkelenz nach Mathias Baux gab die Vorlage für die Chronik der Stadt von G. Eckertz, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts diese dramatisch dargestellte Episode übernommen hat. In der Ereignischronologie folgt bei Eckertz für das Jahr 1676 der Verweis auf die von Soldaten über Maastricht eingeschleppte Ruhr und die Folgen für Erkelenz, es „seint in zwey monathen [September und Oktober] 200 menschen Klein und groß gestorben“7 – eine weitere Katastrophe. Mit der Seuche war die Schreckenszeit für Erkelenz nicht beendet. 1684 fiel die Stadt erneut in die Hände französischer Truppen, die hohe Kontributionen einforderten, die Bürger drangsalierten. Die schon 1674 beschriebene Verelendung stieg weiter. Die Situation war im wahrsten Wortsinn „verheerend“. Zudem erlebte Erkelenz 1686 erneut einen großen Brand, bei dem nach Eckertz 70 Häuser und 34 Ställe bzw. Scheunen zerstört wurden. Gegenüber dem Stand von 1665 war ca. ein Viertel der Häuser niedergebrannt und damit auch ein entsprechend hoher Anteil der Bevölkerung betroffen.

© Heimatverein der Erkelenzer Lande e. V. | Notgeld Belagerung 1886

An diese düstere Phase der Stadt wird auf einem Notgeldschein von 1921 erinnert. In einer nächtlichen Szene kann man ängstliche Gestalten vor brennenden Gebäuden im Bildhintergrund erkennen. Die Bildunterschrift datiert das Geschehen auf das Jahr 1686 und nennt u. a. Hunger und Feuersbrunst.

Zum 600jährigen Stadtjubiläum 1926 griff der Rat der Stadt für die Benennung neuer Straßen auf das historische Ereignis aus dem Jahr 1674 zurück und konkret auf den couragierten Erkelenzer Bürger Gerard Welters. Gerhard Welters war zwischen 1674 und 1701 Schöffe (auch 1662/63 Bürgermeister) in Erkelenz. Er wurde am 23. Februar 1628 mit dem Namen Gerhartt Welters im Taufregister der Pfarre urkundlich eingetragen, Sohn von Heinrich und Lisbeth Welters. Auch seine beiden Eheschließungen 1656 und 1694 sind im Trauregister der Pfarre urkundlich mit dem Namen Gerardus Welthers/Welters nachweisbar.

Im Rahmen der Festsitzung am 27. Juni 1926 wurden nicht nur drei neue Ehrenbürger ernannt, sondern es wurden auch neue Straßennamen bekannt gegeben: Goswin – Straße, Graf – Reinald-Straße und Gerhard – Welters – Straße.

© Stadtarchiv Erkelenz | Erkelenzer Kreisblatt vom 28.06.1926
Aus: Erkelenzer Kreisblatt vom 28. Juni 1926

Dazu erhielt der Freiheitsplatz – in Erinnerung an den Anfang des Jahres erfolgten Abzug der belgischen Besatzung nach dem 1. Wk –  seinen Namen. In der Bevölkerung des Jahres 1926 darf man sicher annehmen, dass es Empathie und großes Verständnis für die Erkelenzer Bürger des Jahres 1674 gab, die frei von fremdem Militär sein wollten. Über die Feierlichkeiten zum Stadtjubiläum und die neuen Straßennamen berichtete das Erkelenzer Kreisblatt in aller Ausführlichkeit.

Die damalige Straßenbenennung entsprach dem in den Urkunden eingetragenen Nachnamen. Die heutige Straßenbezeichnung verzichtet auf das „s“  des Nachnamens8, diese Schreibweise findet sich nur in der Geschichte der Stadt Erkelenz von 1926 aufgeführten Bürgermeisterliste. Der Name der Straße würdigt jedoch ohne Zweifel den ehemaligen Schöffen, Bürgermeister „Gerhard Welters, der im Jahre 1674 die Stadt gegen einen französischen Ueberfall an der Spitze der Bürger mannhaft verteidigt hat“. 9

  1. Heimatkalender 1978, Seite 66
  2. siehe Textausschnitt aus Baux Chronik oben
  3. Eckertz, Seite 127
  4. Kümper Erläuterungen, Seite 102
  5. Heimatkalender 1978, Seite 67 Fußnote 2
  6. alle Briefstellen aus: Heimatkalender 1978, Seite 65
  7. Eckertz, Seite 128
  8. Vgl. Lennartz/Görtz, Erkelenzer Straßen, S. 73/74
  9. Text: Agnes Borgs im August 2025 für den Heimatverein der Erkelenzer Lande e. V.
  1. Kreis Heinsberg (Hrsg.), Heimatkalender des Kreises Heinsberg. Heinsberg, 1978. Darin: Friedel Krings, Die Einnahme und Plünderung der Stadt Erkelenz von 1674 in neuem Licht, S. 65ff
  2. Hiram Kümper (Hrsg.), Mathias Baux: Chronik der Stadt Erkelenz und des Landes von Geldern. Faksimile - Transkription - Übersetzung, Band 1. Neustadt an der Aisch, ISBN: 978-3-9815182-9-0, 2016
  3. Hiram Kümper (Hrsg.), Mathias Baux: Chronik der Stadt Erkelenz und des Landes von Geldern. Erläuterungen - Kommentare, Band 2. Neustadt an der Aisch, ISBN: 978-3-9815182-9-0, 2016
  4. Heimatverein der Erkelenzer Lande e.V. (Hrsg.), Schriftenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande e.V.. Band 3, 1982. Lennartz, J./Görtz, Th., Erkelenzer Straßen
  5. Wikipedia, Wikipedia Deutsch. https://de.m.wikipedia.org/, wiki/Belagerung_von_Maastricht_(1673) (Stand: 11.08.2025)
  6. Joseph Brandts (Gründer), Erkelenzer Kreisblatt. Erkelenz, Ausgabe vom 28.06.1926
  7. Dr. Gottfried Eckertz (Hrsg.), Die Chronik der Stadt Erkelenz. Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein; 5. 1857. Seite 65 - 150, Köln, 1858
  8. Willi Wortmann, Erkelenz 1550. Eine Stadt in der frühen Neuzeit. Erkelenz, 2019

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