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Die mittelalterlichen Schöffenmahlzeiten in Erkelenz

sonstiger Name: Pflichten des Aachener Marienstifts
966 bis 2023

Jeweils kurz vor Weihnachten findet im Alten Rathaus in Erkelenz das traditionelle Schöffenessen mit vielen geladenen Gästen statt. Nur wenige der Teilnehmer wissen, dass Schöffenessen in Erkelenz eine lange Tradition haben.

Allgemein

Generell bedeuteten die mittelalterlichen Schöffenmahlzeiten, dass der Grundherr die Arbeit der Amtspersonen, insbesondere der Schöffen, in seiner Grundherrschaft mit festlichen Mahlzeiten zu honorieren hatte. Vertreter des Grundherrn vor Ort war der Schultheiß. Dem Schultheiß stand in aller Regel ein Rentmeister zur Seite.

Ein Schöffe war im hohen und späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit eine Person, die mit Aufgaben in der Rechtsprechung, aber auch – da damals judikative und exekutive Gewalt nicht getrennt waren – mit Verwaltungsaufgaben betraut war.1 In Erkelenz unterstützten sieben Schöffen den Bürgermeister bei der Amtstätigkeit. Die Schöffen waren ehrenamtlich tätig, mussten aber mit Grundbesitz begütert sein. Mehr zum Schöffenwesen hier.

In Erkelenz hatte seit dem Jahre 966 das Aachener Marienstift die Grundherrschaft. Dies bedeutete u. a., dass der sogenannte Zehnt an das Marienstift in Aachen zu entrichten war. Dem Rentmeister oblag es, die Güter, Zehnte, Renten und Einkünfte des Grundherrn zu verwalten, deren Abgaben zur rechten Zeit anzufordern, anzumahnen und zu erheben. Zu den Aufgaben des Rentmeisters gehörte in Erkelenz auch die Ausrichtung der „schependienste“, der sogenannten Schöffenmahlzeiten.2

Beginn der Schöffenmahlzeiten

© Heimatverein der Erkelenzer Lande e. V. | Mathias Baux | Bauxchronik Seite 258

Wann die Schöffenmahlzeiten in Erkelenz begonnen haben, ist nicht bekannt. Bekannt ist jedoch ein Vertrag vom 30. August 1437 zwischen dem Marienstift Aachen und den Schöffen der Stadt Erkelenz, in dem festgelegt ist, dass das Marienstift verpflichtet ist, wahlweise jährlich fünf Mahlzeiten oder für jede dieser Mahlzeiten sieben Goldgulden zu geben.

Die Schöffen konnten zwischen den beiden Möglichkeiten wählen. Wenn die Schöffen die Mahlzeiten wählten, „sollten sie sich gebührlich und redlich halten, so dass die von Aachen keinen Anlass haben, sich zu beschweren“ 3

Die Schöffenmahlzeiten werden dann wieder in der Chronik von Mathias Baux im 16. Jahrhundert erwähnt. Er beschreibt umfassend, wie die Mahlzeiten stattzufinden hatten.4

Ablauf der Schöffenmahlzeiten

Allgemein

Der Rentmeister musste an den fünf festgelegten Terminen für 15 Personen an drei Tischen in neun Schüsseln jeweils ein üppiges Mahl mit sieben Gängen reichen, dazu noch „zweierlei gutes Brot (Roggen- und Weizenbrot), gutes, altes, klares, mildes und trinkbares Bier und mundigen Bergwein von dem allerbesten.

Termine

Die vorgegebenen Termine waren der Stephanstag oder der nächste Montag danach, der Montag nach dem Dreikönigstag, der Montag nach Ostern, der Montag nach dem Geburtstag Johannes des Täufers und der Montag nach Mariä Himmelfahrt.

Teilnehmer

Die vorgegebenen 15 Personen waren am ersten Tisch der Schultheiß, der Vogt und der Stadtschreiber. Am zweiten Tisch saßen die sieben Schöffen in der Reihenfolge, in der sie in der Schöffenbank saßen. Am dritten Tisch saßen der Stadtbote, die Diener des Schultheißen und des Vogtes sowie zwei Fürsprecher (Rechtsvertreter der Stadt). Zu Beginn des 17. Jahrhundert war übrigens z. B. Cornelius Burgh ein solcher „Fürsprecher“ in Erkelenz.

Auffallend ist, das die Bürgermeister – Stadt- und Landbürgermeister – der Stadt wohl nicht zu den Teilnehmern gehörten, jedenfalls nennt Baux sie nicht.

© Heimatverein der Erkelenzer Lande e. V. | Mathias Baux | Bauxchronik Seite 246

Speisefolge

Je nach Jahreszeit fielen die einzelnen Gänge verschieden aus. Beispielhaft sei das Essen am Sankt Stephanstag im Winter aufgeführt:

1 .Gang: Für jeweils zwei Personen eine Schale mit einem fett gemästeten und gut durchgebratenen Kapaun mit einer gelben Soße aus Knoblauch.

2.Gang: Speck und Erbsen; der Speck soll geräuchert sein, nicht ranzig, noch übermäßig fett sein, und die Erbsen sollen zu Brei verarbeitet, gelb, gut gewürzt, nicht verbrannt oder versengt, sondern wohlschmeckend sein.

3.Gang: Grünes, junges, frisches Rindfleisch mit gutem Senf, frisch und wohlschmeckend.

4.Gang: Jedermann eine Schüssel mit Pfeffer und Schweinefleisch (vom Eber), gut gesalzen und gewürzt.

5.Gang: Für jeden eine Schüssel mit einem Viertel eines jungen, fetten Spanferkels mit einer braunen Soße; die Ferkel sollen neun oder zehn Wochen alt sein, gebraten mit guten, edlen, wohlriechenden Kräutern.

6.Gang: Eine Sülze mit Petersilie und gutem, reinem und wohlschmeckendem Weinessig.

7 .Gang: Käse und gebratene Birnen mit Kerbel und gutem Konfekt überstreut.

Bei den im Jahr folgenden Schöffenmahlzeiten wurden insbesondere die Fleischgerichte verändert, so gab es z. B. statt Spanferkel im 5. Gang in jeder Schüssel ein Viertel von einem fetten, gebratenen Lamm mit einer roten Soße oder es gab Innereien von Gänsen und Enten (Gänseleber usw.), junges, fettes Huhn, gut gebraten mit einer guten Soße, grüne Fische mit großen Köpfen in gutem Weinessig mit grüner Petersilie, frisch und nicht verdorben.

Die ausgedehnte Mahlzeit beschloss der Rentmeister mit einem Dankgebet. Danach folgte eine Diskussion über Güte und Reichhaltigkeit des Essens. Die Schöffen berieten sich, und der Dienstälteste gab das Urteil ab. Fiel dieses günstig aus, war allen Parteien damit ihr Recht bestätigt: Dem Stift das Recht auf den Erkelenzer Zehnten und die anderen verbrieften Abgaben, den Erkelenzern das Recht auf Mitwirkung bei der Vergabe der Güter des Stiftes und das Recht auf weitere Schöffenessen. Waren die Schöffen mit der Mahlzeit nicht zufrieden, wurde der Rentmeister gerügt.

Ende der Schöffenmahlzeiten

Bis wann die Schöffenmahlzeiten stattfanden, ist nicht bekannt. Bekannt ist, dass im Jahre 1589 die Schöffen von Erkelenz das Anrecht auf ihre Schöffenmahlzeiten dauerhaft an einen Kölner Bürger verpfändet haben. Das Stift hat dann die Verpflichtung für die Schöffenmahlzeiten in Geld dauernd abgelöst.5

Neuzeit

Zu Beginn der 1970ger Jahre hatte der damalige Bürgermeister Willi Stein kurz vor Weihnachten zu einer Ratssitzung ohne Tagesordnung eingeladen. Seine Idee war, dass die Ratsherren nicht mit den Streitigkeiten aus den Sitzungen ins neue Jahr gehen sollten. Bald kamen dann auch Gäste dazu und es wurde daraus das „Schöffenessen“, bei dem es traditionell Grünkohl mit Mettwurst gibt. Mit der mittelalterlichen Speisefolge wären heute die Gäste sicherlich überfordert.6

  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Schöffe_(historisch) (Stand: 01.2024)
  2. Gaspers/Sels, a. a. O., Seite 13 ff
  3. Baux, a. a. O, Seite 481 ff
  4. Baux, a. a. O., Seite 456 ff
  5. Gaspers/Sels, a. a. O., Seite 15 und „Die Urkunden im Stadtarchiv Erkelenz“, Seite 119
  6. Text von Günther Merkens 2024 für den Heimatverein der Erkelenzer Lande
  1. Hiram Kümper (Hrsg.), Mathias Baux: Chronik der Stadt Erkelenz und des Landes von Geldern. Faksimile - Transkription - Übersetzung, Band 1. Neustadt an der Aisch, ISBN: 978-3-9815182-9-0, 2016
  2. Gaspers/Sels, Geschichte der Stadt Erkelenz . Erkelenz, 1926
  3. Rheinisches Archiv- und Museumsamt - Archivberatungsstelle, Die Urkunden des Stadtarchivs Erkelenz Regesten. Pulheim, ISBN: 3-0535-5079, 2001

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