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Eine Kirche erzählt

sonstiger Name: Heilig Kreuz Keyenberg
Stichworte: Anekdote Stories
1950 bis 2025

Viel erlebt

Ich weiß! Einige Menschen nerve ich, wenn ich bereits um 7 Uhr morgens zum Angelusläuten meine wohlklingenden Glocken erklingen lasse. Gerade an Sonntagen will keiner so früh geweckt werden. Heute weiß ja auch keiner mehr, dass mein Geläute morgens, mittags und abends den Menschen im Dorf als zeitliche Richtschnur diente. Man wusste beim Läuten, wann das Tageswerk beginnen sollte, wann das Mittagessen bereit stand und Feierabend war. Aber in Zeiten von Quarzuhren braucht niemand mehr mein Geläute. Natürlich weiß ich, dass in der katholischen Kirche das Angelusläuten für die Angelusgebete stattfand, aber die alten Leute sahen darin doch eher die zeitliche Struktur ihres Tages.

Es hat sich ohnehin viel geändert. Waren das noch Zeiten, als meine Bänke an Sonntagen voll waren. Heute kann ich froh sein, wenn sonntags 30 bis 40 Gläubige den Gottesdienst besuchen. Es scheint, dass keiner mehr meinen Hausherrn braucht. Je weniger Gläubige mich besuchen, desto weniger Priester werden geweiht. In Keyenberg lebt schon lange keiner mehr im Pfarrhaus. Alle 14 Tage halten Laien den Gottesdienst. Schade, dass in meinen Mauern nicht mehr so viel gebetet wird. Es macht mich schon sehr traurig, dass ich nicht mehr so sehr gebraucht und zunehmend säkularisiert werde. In meinem Turm befinden sich Sendeanlagen von Telefongesellschaften, damit auch jeder im Ort mit seinem Handy und Smartphone spielen kann. Dabei empfinde ich mich als besonders schönes neugotisches Exemplar innerhalb der Kirchengebäude in Erkelenz und wurde immerhin von einem berühmten Kirchenbauer, dem Professor Friedrich von Schmidt aus Wien in der Mitte des 19. Jahrhunderts entworfen.

Unzählige Paare gaben sich in meinem Haus das Ja-Wort und kamen auch gerne zu mir zurück, wenn sie Silber- oder Goldhochzeit feierten. Diese Feiern beglückten mich besonders, wenn sie vom St. Josefs Musikverein oder vom Kirchenchor Cäcilia Keyenberg musikalisch unterstützt wurden.

Damit will ich nichts gegen meine Orgel gesagt haben, denn die ist fast so alt wie ich und erklingt nach wie vor majestätisch in den Messen und Gottesdiensten.

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Stefan Emanuel Knauer an der Stahlhut-Orgel in Heilig Kreuz Keyenberg: Charles Villiers Stanford (1852-1924): Postlude d-Moll op. 105, 6

Ich sollte ja im Zuge des Braunkohleabbaus abgerissen werden und war schon an den Bergbaubetreiber verkauft und vom Aachener Bischof 2021, mitten in den furchtbaren Coronazeiten, entwidmet worden. Da kam die Wende! Die Bundes- und Landesregierung hatte beschlossen, Keyenberg nicht abzureißen. Ich bleibe also erhalten. Welch eine Freude!

Apropo Corona-Pandemie! Das war ein Spektakel! Die Menschen mussten Masken tragen und Abstand zueinander halten. Das heiß in meinen Räumen: Nur jede 2. Sitzreihe durfte benutzt werden. Drei Besucher durften maximal in eine Bank. Im Kirchenraum gab es mehr Verbotsschilder als Glaubende. Auch die Priester mussten strikte Hygienemaßnahmen einhalten. Mindestens drei Mal mussten sie sich während der Messe die Hände desinfizieren.

Die Zeiten sind nun vorbei. Ich stehe jetzt nur noch dumm in der Gegend herum. Die Kunstwerke in meinen Räumen sind dem Verfall ausgesetzt, weil ich nicht mehr beheizt und versorgt werde.

Ein Highlight hatte ich noch. In der Winterszeit 2024 veranstaltete Beets ‚a‘ Berries veranstaltete ein offenes Weihnachtssingen. Da stand ich wieder einmal im Mittelpunkt. Zu hoffen ist, dass ich noch mehr solcher Kulturabende erlebe, damit ich wieder etwas zu tun bekomme.1

  1. Text von Wolfgang Lothmann 2017, ergänzt 2025, für den Heimatverein der Erkelenzer Lande e. V.

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