Stolpersteine in Erkelenz
In der Stadt Erkelenz wurden rund drei Dutzend Stolpersteine zur Erinnerung an jüdische Familien verlegt. Vier davon befinden sich vor dem Haus in der Kölner Str. 46 und erinnern an die Familie Ernst Strauss.
Judenverfolgung im Dritten Reich
Welches Schicksal steht hinter den Stolpersteinen? Alljährlich, am 9. November gedenken wir der Pogromnacht, von einigen auch heute noch verharmlosend als „Reichskristallnacht“ bezeichnet. Der Erinnerung – dem Gedenken – ist besondere Aufmerksamkeit zu schenken. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden hunderte Synagogen und tausende Geschäfte und Wohnungen von Menschen jüdischen Glaubens, sowie jüdische Friedhöfe durch die Nationalsozialisten und einer breiten zustimmenden Masse in der Bevölkerung zerstört.
Der offizielle Grund: der polnische Jude Herschel Grynszpan, der mit seinen Eltern in Hannover lebte, hatte am 7. November 1938 ein Attentat auf Ernst vom Rath, den Botschaftssekretär der deutschen Botschaft in Paris, verübt, nachdem seine Eltern nach Polen abgeschoben worden waren. Vom Rath starb und das gab den Auslöser dafür, den schon lange in den Schubladen schlummernden Befehl in die Tat umzusetzen, jüdische Geschäfte zu überfallen, Synagogen zu zerstören, Tausende Juden zu bedrohen und in Konzentrationslagern zu inhaftieren. In der Reichspogromnacht (Pogrom, russ. Gromit = Verwüstung, Zerstörung) starben weit mehr als 1.300 Menschen, 300 Juden nahmen sich das Leben, um die 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie Tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe in Deutschland wurden stark beschädigt oder ganz zerstört, über 30.000 Menschen jüdischen Glaubens wurden verhaftet und in Konzentrationslager deportiert.1
Die Pogrome markieren den Übergang von der Diskriminierung der deutschen Juden ab 1933 hin zu ihrer systematischen Vertreibung und Unterdrückung, ob auch zur Vernichtung allen jüdischen Lebens, wie 1942 in der Wannsee-Konferenz beschlossen, ist umstritten.
Schicksal der Familie Strauss
Zur Erinnerung an Ernst Strauss und seine Familie liegen in der Kölner Str. am Haus Nr. 46 in Erkelenz Stolpersteine im Boden.
Ernst Strauss wurde 1898 in Erkelenz geboren. Im 1. Weltkrieg diente er als Soldat. In den Jahren 1924 und 1926 war er Mitglied im städtischen Ratsausschuss für die Badeanstalt. 1924 wird er als Geschäftsgehilfe der Firma S. Strauss und Söhne erwähnt.2 1930 war er 2. Vorsitzender des Hockeyclubs Erkelenz.
Die Firma „S. Strauss und Söhne“, die Ernst und sein Bruder von Ihrem Vater Bernhard geerbt hatten, war überwiegend im Landhandel tätig. Etliche Zeitungs-Annoncen zeugen von der regen Aktivität der Firma.
Heirat und Geburt der Kinder
Im Januar 1930 heiratete Ernst Thea Dalberg.
Nach der Heirat bezog das Ehepaar eine Wohnung in der Hermann-Josef-Gormanns Str. 21. Die Wohnung befand sich im ehemaligen Hotel Römischer Kaiser, das 1920 von der Stadt Erkelenz für die französische Besatzung erworben und später privat vermietet wurde.
In dieser Wohnung kam der Sohn Helmut 1931 und die Tochter Hannelore 1933 auf die Welt.
Schicksal in der NS Zeit
Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 veränderte sich das Leben der jüdischen Bevölkerung in Deutschland schlagartig. Auch Ernst Strauss bekam die Diskriminierungen durch die Gestapo 1934 zu spüren und wurde ein Jahr später in der NS-Zeitung Westdeutscher Beobachter verunglimpft. Er musste in Folge der Denunziationen und der antisemitischen Maßnahmen seine Wohnung aufgeben und zog daraufhin mit seiner Familie in das elterliche Haus in der Hindenburgstraße 46, welche die heutige Kölner Straße ist, zurück. Dort wohnten ab 1940 auch seine Schwiegermutter Frieda Dalberg und seine Schwägerin Elly Kraus, geb. Dalberg.3
Am 10. November 1938 wurde Ernst Strauss in Folge der Reichspogromnacht verhaftet und in das KZ Sachsenhausen deportiert, wo er für mehrere Wochen festgehalten wurde. Drei Jahre später, im April 1941, wurde die Familie Strauss schließlich dazu gezwungen, nun vollständig ihren Wohnsitz in Erkelenz aufzugeben und gemeinsam mit den anderen jüdischen Familien des Landkreises Erkelenz in den Spiess-Hof nach Hetzerath zu ziehen, wo ihnen zwei Zimmer zur Verfügung gestellt wurden.
Von ihren Möbeln konnten sie „das gute Schlafzimmer (Elternschlafzimmer) und ein Kinderzimmer“ mitnehmen4. Die übrigen Möbel mussten zurückgelassen und auf Kosten der Familie Strauss untergestellt werden.5 Das Haus Nr. 46 blieb für einige Monate unbewohnt. Die Türen wurden vernagelt. Später zog das Landratsamt mit verschiedenen Abteilungen in das Haus.
Circa 30 Personen wohnten im Spiesshof unter menschenunwürdigen Bedingungen, der Kontakt zur einheimischen Bevölkerung war ihnen untersagt. Sie litten aufgrund der schlechten Versorgung mit Lebensmitteln und ohne Geld oft an Hunger, da sie laut Anordnung in Hetzerath nur ein bestimmtes Lebensmittelgeschäft auf vorgeschriebenen Feldwegen zu einer bestimmten Zeit aufsuchen durften, nur wenig auf ihre mit „J“ gekennzeichneten Lebensmittelkarten bekamen und inzwischen bettelarm waren.6
Im Januar 1942 beschlossen die Nationalsozialisten auf der Wannsee-Konferenz die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Europa – den Völkermord. Auch die Familie Strauss fiel diesem Beschluss zum Opfer und wurde am 22. März 1942 in das Ghetto Izbica nach Polen deportiert.
Von hier aus wurden Tausende Menschen jüdischen Glaubens in die Vernichtungslager von Belzec und Sobibor deportiert. Im Ghetto von Izbica verliert sich die Spur von Ernst Strauss und seiner Familie. Keiner der 29 Jüdinnen und Juden von Haus Spiess im Alter von 4 bis 84 Jahren, die nach Izbica kamen, hat den Holocaust überlebt.
Zurück bleiben uns nur die Stolpersteine. Sie erinnern und mahnen uns, dass so etwas nicht mehr geschehen darf.
Der Artikel beruht auf dem Vortrag von Johanna Grasmehr und Mara Heinrichs, Schülerinnen der Q2 des Leistungskurses Geschichte am Cusanus-Gymnasium, Erkelenz, der am 9. November 2022 bei der Gedenkstunde der Pogromnacht in Erkelenz gehalten wurde, an einigen Stellen ergänzt durch Rita Hündgen.
- Schriftenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande e. V. Nr. 22. Jüdisches Leben im ehemaligen Kreis Erkelenz
- Schriftenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande e. V. Seite 218
- Schriftenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande e. V. Seite 219
- Stadtarchiv Erkelenz 1D/151 Juden. Erkelenz Stadt und Land
- Gemeinschaftshauptschule Erkelenz: „Wir wollen es wissen“, Projektarbeit, 2000
- Schriftenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande e. V. Seite 84f
- Wikipedia Deutsch. https://de.m.wikipedia.org/, wiki/Novemberpogrome_1938 (Stand: 03.2023) ,
- Schriftenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande e.V.. Band 22, 2008. Hubert Rütten: Jüdisches Leben im ehemaligen Landkreis Erkelenz ,
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