Entstehung aus der Tradition der geldrischen Geschichte der Stadt
An Fronleichnam und dem folgenden Wochenende und am Wochenende nach Maria Geburt am 8. September findet jeweils in Erkelenz eine Kirmes statt. Beide Feste waren und sind immer noch große Anziehungspunkte für die Bevölkerung der Stadt und der Umgebung.
Wie sind diese Kirmestage entstanden?
Sie haben in Erkelenz nichts mit dem Gedenken an die Kirchweihe (daher kommt der Name „Kirmes“) zu tun, sondern gehen auf die Einsetzung von Markttagen durch die geldrischen Herzöge zurück, an denen nicht das Freizeitvergnügen, sondern der Handel im Vordergrund standen. Der Beiname „Lambertusmarkt“ für die Frühkirmes um Fronleichnam erinnert noch heute an den Ursprung. Nachzulesen ist die frühe Marktentwicklung in Erkelenz in der Chronik von Mathias Baux und den Urkunden der Stadt Erkelenz, auf denen dieser Bericht beruht.
Bedeutung der Marktrechte für eine Stadt
Für mittelalterliche Chroniken und Urkunden sind Datierungen, die sich an kirchlichen Festtagen oder Heiligengedenktagen orientieren, durchaus üblich. Diese Form der Datierung belegt die Funktion und Bedeutung kirchlicher Feste im gesellschaftlichen und staatlichen Gefüge und im Jahreslauf. Gleichzeitig wird erkennbar, wie eindeutig solche Datierungsangaben für die beteiligten Vertragsparteien, z. B. beim Abfassen einer Urkunde gewesen sein müssen. Es ist also nicht ungewöhnlich, dass in der Erkelenzer Stadtchronik Angaben zu den Märkten mit Rückgriff auf kirchliche Feste benannt werden. Die Verleihung von Marktrechten durch den jeweiligen Herrscher bedeutete für eine Stadt natürlich eine wichtige Einnahmequelle für einheimische Händler und Handwerker, eine geregelte Möglichkeit des Warenaustausches über das engere Umland hinaus, ganz sicher aber eine Aufwertung der Stadt im Vergleich zu anderen Städten in einem Herrschaftsbereich. Marktprivilegien, das gilt nicht nur für die alte Stadt Erkelenz, waren der fundamentale Grundstock für das wirtschaftliche Aufblühen einer Stadt. Eine Stadt musste jedoch auch die Voraussetzung dafür bieten, dass die Privilegierung durch das Marktrecht insgesamt Gewinn versprach.
Die Lage der Stadt Erkelenz
Die Lage der alten Stadt Erkelenz erfüllte beste Voraussetzungen für einen guten Handelsplatz. Südlich der Stadt liegt die fruchtbare Jülicher Börde, nördlich dagegen das sandigere und wasserreiche Schwalm-Nette Gebiet. In der nächsten Umgebung der alten Stadt und innerhalb des Stadtgebietes der heutigen Stadt Erkelenz entspringen die Schwalm in Geneiken (Dykerhof) und die Niers bei Unterwestrich (Zourshof). Die Rur/Roer, deren Mündung der Hauptstadt des geldrischen Oberquartiers ihren Namen gab, fließt an der westlichen Stadtgrenze vorbei zur Maas. Neben diesen guten Bedingungen für landwirtschaftliche Erträge lag Erkelenz verkehrsmäßig günstig, denn über die von Köln kommende Fernhandelsstraße gab es eine Verbindung über den Landweg nach Roermond und weiter bis nach Antwerpen.
Die Entwicklung der Marktrechte für Erkelenz
Das Aachener Marienstift und auch die Grafen und späteren Herzöge von Geldern hatten die günstige Lage der Stadt erkannt und Erkelenz durch die Vergabe von Privilegien gefördert.
Es ist durchaus möglich, dass Erkelenz das Marktrecht bereits 1326 mit der Verleihung der Stadtrechte zugesprochen wurde.1 Eine urkundliche Untermauerung der Annahme ist leider nicht möglich, allerdings stützen Hinweise in der Baux-Chronik die Vermutung, dass Erkelenz bereits vor der sicheren Datierung für das Jahr 1422 ein Marktrecht hatte.
Mathias Baux widmet ein umfangreiches Kapitel seiner Chronik2 dem Thema:
VAN DEN FRIHEN JAERMARCKTEN, WEECKNMARCKTEN UND ANDERN FRIHEN DAGEN DER STADT ERKLENTZ.
Der offensichtlich wichtigste Markt wurde Ende Oktober als Simon- und Juda-Markt gehalten. Der Festtag dieser Heiligen ist der 28. Oktober. Es waren drei Tage vorher und drei Tage nachher als Markttage gestattet. Auch wenn in späteren Jahren der Simon- und Juda-Markt vorher und nachher wieder um einen Tag verkürzt wurde, spricht alleine schon der zeitliche Umfang des Marktgeschehens für dessen Bedeutung. Selbst eine Bauernregel würdigt das Heiligenfest: „Wer Weizen sät am Simonstage, dem trägt er goldene Ähren ohne Frage.“
Herzog Rainald IV. von Geldern und Jülich, Graf von Zutphen verlieh der Stadt „op donnersdag post Mathei apostoli“ im Jahr 1422 zwei weitere Märkte, die am Himmelfahrtstag und an Fronleichnam stattfanden. Dies dokumentiert die im Erkelenzer Archiv noch erhaltene Urkunde vom Landesherrn als „Gunst und zum Besten der Stadt“ deklariert, da die Bürger ohne eine ausdrückliche Verpflichtung, den „Bau seiner Burg“ mit Material und Gerät tatkräftig unterstützt haben.3 Diese beiden Märkte wurden später zu einem Markt am Frohnleichnamstag zusammengelegt. 4 Fronleichnam mit dem darauf folgenden Wochenende steht in Erkelenz heute ganz im Zeichen von Frühkirmes und Historischem Jahrmarkt (Lambertusmarkt).
Gleichzeitig wurde der Stadt urkundlich zudem jeden Donnerstag ein freier Wochenmarkt zugestanden.
Herzog Adolf von Geldern und Jülich erweiterte die Rechte noch um zwei weitere Markttage, nämlich Sonntag und Montag nach Maria Geburt am 8. September. „Item die ander ii dage sullen syn up sonnendage und maenendage nae Unser Liever Vrauwen dage nativitatis, dat´s op unser kyrmißen.“5 – So feiern also die Erkelenzer Bürger bis heute am Sonntag nach Maria Geburt ihre Spätkirmes, also ein Fest mit Wurzel in der geldrischen Geschichte der Stadt.
Im Jahre 1539 kam dann noch ein weiterer Markt für die Stadt hinzu, der am Tag der Kreuzauffindung (3. Mai) erweitert um den Tag vorher und nachher abgehalten wurde. Insgesamt fand also Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts eine große Zahl von Markttagen in Erkelenz statt und beförderte die wirtschaftliche Blüte der Stadt in dieser Zeit.
Der Bürgermeister – Aufgaben und Pflichten für Marktgeschehen und Handel
Gute Ernteerträge, Gewerbefleiß und händlerisches Geschick ließen die Märkte in Erkelenz florieren. Nicht nur die Markttage oder -zeiträume waren über das Jahr verteilt geregelt, sondern die Stadtchronik verzeichnet auch eine Reihe verpflichtender Vorgaben im Umfeld des Marktgeschehens. Alle fremden Waren, die Erkelenzer Boden berührten oder auf einer städtischen Waage gewogen wurden, waren mit Abgaben belegt. Aufgabe und Pflicht des Bürgermeisters war es, bei eigenen und fremden Gütern auf die Maß- und Gewichtgenauigkeit zu achten. Zudem hatte er dafür Sorge zu tragen, dass es im Gewandhaus allezeit mehr Frieden und Freiheit habe und halte als auf anderen Plätzen „bey vermeydung gepuerlicher leyffs und hoicher geltstraff“.6 Hier verweist die Chronik auf die Strafen, die vom Bürgermeister und dem gesamtem Rat der Stadt verhängt werden konnten, wenn jemand mit falschen Maßen und Gewichten handelte.
Das Warenangebot auf den Erkelenzer Märkten war offenbar sehr reichhaltig. Die Stadtchronik führt folgende Handelswaren auf: Butter, Käse, Schmalz, Fleisch, Brot, Kräuter, Spezereien und Gewürze; dazu Korn, Öl, Salz, Wein und Bier. Auch mit Gold, Silber, Zinn, Kupfer und Eisen wurde gehandelt. Feste Bestimmungen gab es für Leinen, Wolle und Seide, hier durfte nur mit einer Elle gemessen werden, die „recht geeicht vnd mit der stadt rosen geteickent have vnd halde, dair mit in koupen und verkoupen niemantz bedrogen werde“.8 Das hier genannte mittelalterliche Eichzeichen der Stadt, die Rose, ist nichts anderes als die Mispelblüte; diese geldrische Rose ist das älteste heraldische Zeichen Gelderns.
Im unteren Teil des Erkelenzer Stadtwappens ist die rote Mispelblüte mit gelbgrün betupftem Butzen dargestellt. Die heutige Wappendarstellung weicht von der spitzblättrigen Darstellung bei Baux ab, die Varianten in der Darstellung der Mispelblüte werden von Kümper ausführlich in dem Kommentar zur Baux-Chronik erläutert.
Die Pflicht des Bürgermeisters, jederzeit, ganz besonders bei Jahrmärkten und anderen Markttagen, für einen sicheren Handel ohne Maß- und Gewichtsbetrügereien zu sorgen, wird zum wirtschaftlichen Gedeihen der Stadt beigetragen haben. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war die finanzielle Situation der Stadt gut. Sie unterstützte den Landesherrn mit Geldmitteln und wurde dafür mit Privilegien bedacht.
Wie sich Aufgabenstellungen ähneln: Zwar entspricht die von Baux berichtete Maßgabe, wer ein falsches Gewicht oder Maß verwendet, wird geköpft, eindeutig nicht mehr den heutigen Rechtsprinzipien. Doch feste Reglements (Positionierung der Verkaufsstände und Fahrgeschäfte, Ruhezeiten, Sicherheitsvorgaben usw.) bestimmen nach wie vor das Geschehen rund um Marktgeschehen und Kirmes, damit die Bürger Jahr für Jahr ihre traditionellen Stadtfeste sicher genießen können!
Die Orte der Märkte
Der älteste erwähnte Markt ist der zu Simon und Judä (28. Oktober), der wohl schon vor der Stadterhebung (1326) eingerichtet und vom Aachener Marienstift gefördert wurde. In einer geldrischen Landesrechnung von 1294/95 wird ein Markt in Erkelenz am Tage der beiden Heiligen erwähnt. 10
Dieser Markt wurde aber außerhalb der Stadt abgehalten, ca. 500 Meter südöstlich der Stadt an den Schnittpunkten der Kirchwege von Kückhoven und Bellinghoven. Das ergibt sich daraus, dass dieses Gebiet (heute ehem. Firma Wirth) die Flurbezeichnung „Symon Juden mart“ trägt. 11
Im Jahre 1422 verlieh Herzog Rainald von Geldern und Jülich, Graf von Zuyphen, der Stadt Erkelenz das Recht, einen freien Wochenmarkt innerhalb der Stadt abzuhalten, und zwar das ganze Jahr immer an einem Donnerstag. 12 Es muss davon ausgegangen werden, dass dieser Markt auf dem „Alten Markt“ (dem heutigen Johannismarkt) stattfand, denn bereits im Jahre 1420 wird von einem Markt in der Stadt gesprochen. 13
Im Jahre 1452 taucht dann der Name „Wolmart“ auf, etwas später (1480) der „Niewe Mart„ südöstlich des „Alten Marktes“ am Gewandhuys bzw. Rathaus gelegen. Ab dieser Zeit hat der „Niewe Mart“ den „Alten Markt“ als Platz für die Märkte wohl abgelöst. 14
- Kümper, Erläuterungen, a. a. O., Seite 110
- Kümper, Bauxchronik, a. a. O., Seite 352 – 356
- D. Kastner, a. a. O., S. 32 f.
- Geschichte der Stadt Erkelenz, Seite 30 ff
- Kümper, Bauxchronik, a. a. O., Seite 355
- Kümper, Bauxchronik, a. a. O., Seite 368
- Kümper, Erläuterungen, a. a. O., Seite 111
- Kümper, Bauxchronik, a. a. O., Seite 371
- Kümper, Erläuterungen, a. a. O., Seite 13
- Kümper, a.a.O., Seite 110
- Siehe Rheinischer Städteatlas ERKELENZ, 1976, Seite 2 und Schriftenreihe der Stadt Erkelenz, Band 2
- Chronik der Stadt Erkelenz, Seite 352 ff
- Siehe Rheinischer Städteatlas ERKELENZ, 1976, Seite 4
- Text von Agnes Borgs 2023 für den Heimatverein der Erkelenzer Lande e. V.
- Mathias Baux: Chronik der Stadt Erkelenz und des Landes von Geldern. Faksimile - Transkription - Übersetzung, Band 1. Neustadt an der Aisch, ISBN: 978-3-9815182-9-0, 2016 ,
- Mathias Baux: Chronik der Stadt Erkelenz und des Landes von Geldern. Erläuterungen - Kommentare, Band 2. Neustadt an der Aisch, ISBN: 978-3-9815182-9-0, 2016 ,
- Die Urkunden des Stadtarchivs Erkelenz: Regesten. Brauweiler, 2001 ,
Wenn Sie uns Feedback zu diesem Artikel senden möchten, nutzen Sie bitte dieses Kontaktformular:
* Pflichtfeld