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Genossenschaftskasse von 1894 in Borschemich

Geschichte

Situation zu Beginn des 19. Jahrhunderts

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das Leben auf dem Land geprägt durch bäuerliche Unfreiheit und Bindung an die Scholle. Nach der Niederlage der Preußen gegen Napoleon 1806 nahm der größte Staat, Preußen, daher Reformen vor. Eine sehr wichtige war die Bauernbefreiung, d. h. die Aufhebung der traditionellen Abhängigkeiten, denen die bäuerliche Bevölkerung zum größten Teil noch unterworfen war. Die Bauern wurden persönlich frei und durften Wohnort und Beruf selbst wählen. Die wirtschaftliche Existenz war damit aber nicht gesichert. Ähnlich erging es den städtischen Bewohnern. Zwar wurde die Gewerbefreiheit eingeführt, d. h. der Zunftzwang aufgehoben, aber das wirtschaftliche Risiko stieg damit. Zusätzliche Arbeitsplätze entstanden in der jungen Industrie noch nicht, was zu Massenarmut führte. Die Umstellung von der Hauswirtschaft auf die Produktion für den Markt erforderte Geldmittel, die in der Regel fehlten. Zwar waren die ersten großen Banken schon gegründet, aber im Allgemeinen hielt man Bauern und Handwerker nicht für kreditwürdig.

Als Geldgeber blieben nur die Händler übrig, die den Bauern Nutzvieh, Geräte und andere Betriebsmittel lieferten und auf der Gegenseite die Erzeugnisse des Hofes aufkauften. Das wurde von manchen Händlern ausgenutzt und führte nicht selten zum Verlust des Hofes.

Raiffeisen – Kreditgenossenschaften

Ausgangspunkt für die Entwicklung der Raiffeisen-Kreditgenossenschaften war die Missernte von 1846. Friedrich-Wilhelm Raiffeisen (1818-1888) gründete die erste Genossenschaft in der Gemeinde, in der er Bürgermeister war. Der Verein hatte zunächst den Zweck, die drohende Hungersnot durch Beschaffung von Brot abzuwenden. Wenig später wurde dann ein Hilfsverein gegründet, der unbemittelte Landwirte durch Darlehen unterstützen sollte. Jeder, der ein Darlehen haben wollte, Wohlhabende wie Arme, musste Mitglied werden. Alle Mitglieder hafteten, so war aus dem Wohltätigkeitsverein, in dem die Reichen den Armen helfen sollten, ein Verein zur gegenseitigen Hilfe geworden.

Borschemicher Genossenschaftsbank

Am 12. August 1894 wurde im Lokal Hilgers der Borschemicher Spar- und Darlehenskassenverein gegründet. Die Initiative ging von Hubert Thelen, Lehrer in Köln, geboren in Borschemich aus. 27 Mitglieder erklärten sofort ihren Eintritt. Karl Schommertz war der erste Vorstandsvorsitzende, Hubert Ilbertz der erste Aufsichtsratsvorsitzende und Johann Hilgers erster „Rechner“, d. h. Geschäftsführer. Das erste Geschäftslokal befand sich in der Wohnung des Rendanten. Ein Statut regelte die Verfassung und Verwaltung der Kasse. In den nächsten Jahren entwickelte sich die Kasse dadurch, dass viele Bürger ihr erspartes Geld hinterlegten zu einem beachtlichen Kreditinstitut. 1905 schloss sich die Borschemicher Kasse einem übergeordneten Verband an, der Bedeutung im Prüfungswesen wie auch für Ausbildung und Nachwuchsförderung erlangte.

1906 wurde durch das sogenannte Scheckgesetz der bargeldlose Zahlungsverkehr gefördert.

Krisen zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Während des 1. Weltkriegs wurde die Bevölkerung aufgerufen Kriegsanleihen zu zeichnen. Dies führte zu großen Problemen nach dem verlorenen Krieg. Während des Kriegs konnte über die Kasse vor allem die Versorgung der heimischen Bevölkerung mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, Lebensmitteln und Bekleidung sichergestellt werden.

Von 1923 bis 1924 wurde durch die Hyperinflation jegliches Geldvermögen vernichtet, getroffen wurden vor allem die kleinen Leute mit ihren Ersparnissen. Insgesamt verlor die Bevölkerung ihr Vertrauen in das staatliche Geldwesen. Die Borschemicher Kasse hatte kaum noch die Möglichkeit Kredite zu gewähren.

Am 11. Oktober 1924 wurde die neue Reichsmark eingeführt und die 20 verbliebenen Kassenmitglieder sorgten durch eine Stammeinlage dafür, dass es weitergehen konnte. Trotz der Konkurrenz der Großbanken setzte sich der Giro-Scheck und Überweisungsverkehr durch. Die Jahresbilanzen der nächsten Jahre, auch goldene 20er genannt, zeigten häufig eine Verdopplung der Spareinlagen und der Mitglieder gegenüber dem zurückliegenden Geschäftsjahr.

Auch in den Jahren der Wirtschaftskrise 1930/31 blieb die Kasse solide. Innerhalb des Kreises Erkelenz stand die Kasse mit an führender Stellung. Als Geschäftsführer fungierte ab 1926 Theodor Statz für 40 Jahre.

Die Kriegsvorbereitung der Nationalsozialisten führte Mitte der 30er Jahre zu erhöhtem Geldumlauf und zur Gefahr einer neuen Inflation. Daher erließen die Nazis 1936 einen Lohn- und Preisstopp. Andere Zwangsmaßnahmen wie das Anlegen in Reichsanleihen und die Abkehr von der Goldbindung führten dazu, dass Anlagemöglichkeiten in Krediten und Darlehen kaum mehr gegeben waren.

Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg

Nach dem 2. Weltkrieg und der Währungsreform 1948 setzte die Borschemicher Kasse ihre Arbeit zunächst schleppend fort, weil die Bevölkerung nach den harten Kriegs- und Nachkriegsjahren zunächst Bedarf an Gebrauchsgütern hatte. Das änderte sich aber bald wieder. 1966 trat an die Stelle der nebenamtlichen Geschäftsführung die hauptamtliche. Benachbarte Genossenschaften fusionierten. Die Genossenschaftsidee von Raiffeisen aber blieb: Selbsthilfe zur Förderung des Erwerbs und der Wirtschaft ihrer Mitglieder auf der Basis der Selbstverantwortung und Selbstverwaltung.

„Nicht verdienen, sondern dienen“ ist nach wie vor die Leitlinie genossenschaftlicher Arbeit. Der Borschemicher Spar- und Darlehenskassenverein von 1894 eGmuH wurde in Raiffeisenbank von 1894 eG umbenannt, Hauptsitz war Borschemich mit Geschäftsstellen in Venrath, Holzweiler, Immerath, Otzenrath, Titz und Wickrathberg.

Am 02. .Juli 1998 fusionierte die Borschemicher Raiffeisenbank mit der Lövenicher Raiffeisenbank zur Raiffeisenbank Erkelenz eG mit Hauptsitz in Lövenich. Nicht nur wirtschaftliche Gesichtspunkte, sondern auch die bevorstehende Abbaggerung des Ortes haben zu dieser Maßnahme veranlasst, damit auch in Zukunft in Borschemich eine Raiffeisenbank beheimatet ist. Im Ortsteil Borschemich (neu) gibt es an der St. Martinusstraße folglich wieder eine Zweigstelle.1

  1. Text von Rita Hündgen 2020 für den Heimatverein der Erkelenzer Lande e. V.
  1. Arbeitskreis der örtlichen Vereinsvorstände in Verbindung mit der Pfarrgemeinde St. Martinus (Hrsg.), 1100 Jahre Borschemich, 898 - 1998, Geschichte und Geschichten. 1997

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