Erlebte Geschichte
In den 1950er Jahren, die schlechte Zeit und die Währungsreform waren vorbei, ging es wieder aufwärts, man konnte sich wieder „etwas leisten“, die Wirtschaftswunderzeit war da. Wir wohnten im Haus der Großeltern in Erkelenz im Schatten des 84 Meter hohen St.Lambertus-Turms. Das schon in die Jahre gekommene Haus hatte mit einigen Schäden den Krieg überstanden. In den Nachkriegsjahren war Wohnraum knapp und mit wenig Komfort ausgestattet. Neben der Küche gab es ein Schlafzimmer und einen relativ großen Wohnraum mit Möbeln aus der Jugendstilzeit. Um das Wohlgefühl zu erhöhen, gab es neben Gardinen auch Teppiche, die auch noch als Wärmeisolation zum kalten Keller ausgelegt waren. Toiletten waren auf dem „Hof“. Gebadet wurde in einer Zink-Badewanne in einem Nebengebäude, der Waschküche. Man lebt in bescheidenen Verhältnissen. Die Hausfrau musste viel und schwer arbeiten, die Wäsche waschen und bügeln, den Herd und die Öfen mit Holz und Kohle versorgen, die Lebensmittel wie Gemüse, Kartoffeln und Obst aus eigenem Garten verarbeiten, Essen zubereiten, Kinder erziehen und die Wohnung sauber halten.
Der erste „Vorax“
Der Tür-Klingelton unterbrach die Stille, meine Mutter war gerade beim Kartoffelschälen. Vor der geöffneten Haustür stand ein gut gekleideter Mann. Er hatte ein Gerät dabei, unten ein silbrig glänzender Zylinder, verbunden mit einem langen, schwarzen Stiel mit aufgewickeltem Elektrokabel und meinte: „Das ist ihr VORAX“. Der freundliche Herr stellte sich als Vertreter vor und wollte einen Staubsauger vorführen, den VORAX (Bild 2) der Fa. Bresges aus Rheydt und Arsbeck (Bild 1).
(vorax- lat. = gefräßig, war der Name für Produkte des Elektrogeräteherstellers). Nun folgte, was man sicher schon häufig in Film- und Fernsehsketchen gesehen hat, das obligatorische Vorführen, das Saugen des Teppichs, der Polstermöbel usw.. Meine Mutter konnte nicht widerstehen und kaufte den Sauger. Er sollte ihr die schwere Hausarbeit erleichtern, denn Teppiche säubern war Schwerstarbeit.
Das Objekt musste aus dem Raum in den Hof oder Garten geschleppt werden und dort über eine Teppichstange gehievt werden. Anschließend wurde der Teppich mit ordentlichen Schlägen mit dem Teppichklopfer (aus geflochtenen Weidenzweigen) bearbeitet (Bild 3). Im Winter konnte man den Teppich auch zum Säubern mit der Florseite in den Schnee legen (Bild 4). Nun war dieses mit dem VORAX nicht mehr nötig, eine schwere Hausarbeit weniger! Abends, mein Vater kam von der Arbeit nach Hause, erzählte meine Mutter euphorisch von ihrer neuen Errungenschaft. Die Begeisterung meines Vaters hielt sich in Grenzen, es stand ja der Bau eines Eigenheimes bevor.
ca. 1950
Neben der Waschmaschine mit Anwurfmotor, mit einer Handkurbel musste der Motor in Drehung gebracht werden (Bild 5), einem Bügeleisen (Bild 6), einem Nachkriegs-Volksempfänger (Bild 7) und einem Tauchsieder war der Sauger das fünfte Elektrogerät im Haushalt! In der Wohnung gab es nur vier Steckdosen.
Der „Vorax“ als Föhn
Für heutige Verhältnisse unvorstellbar, die Leistung des VORAX betrug nur 170 Watt (heutige Geräte haben eine wesentlich höhere Leistung zwischen 1000W und 2000W). Der Staubbeutel hing seitlich am Gerät und musste durch Schütteln über dem Mülleimer entleert werden. Außer Saugen konnte man den VORAX auch als Föhn benutzen. Hierzu wurde der Staubsaugerbeutel abgezogen und durch den Föhnvorsatz- schwarzes Kunststoffrohr mit integriertem Heizwendel- ersetzt.
Das untere Ende des Motorblocks kam, nach Wegnahme der Saugbürste, in einen doppelwandigen, gelöcherten Fuß (Bild8). Über den Fuß saugte der Vorax Luft an, die er dann über das Kunststoffrohr kräftig ausblies. Der blasende „Staubsauger-Föhn“ stand auf einem Tisch und die Person mit den nassen Haaren saß davor und musste den Kopf zum Trocknen hin- und her-bewegen.
Der „Vorax“ als Bohnerbürste
In den Nachkriegsjahren hatten viele Häuser noch Holzböden, meistens rotbraun lackiert. Einmal in der Woche wurde der Boden in Handarbeit mit Wachs überzogen und poliert, eine schweißtreibende Arbeit. Mit Hilfe des VORAX wurde die Arbeit wesentlich erleichtert. Zum Versprühen des Bohnerwachses kam der Sprühbehälter an die Stelle des Föhns. Statt des langen Stiels (zum Saugen), setzte man den klobigen Handgriff auf (Bild 10) und füllte den flüssigen Bohnerwachs (Bild 9) in das Glas. Nach dem Versprühen des flüssigen Bohnerwachses wurde das Gerät wieder umgebaut und unten mit einer schweren Bohnerbürste versehen. (Bild 11) Nach der Bearbeitung glänzte der Boden zur Freude der Hausfrau wie gerade frisch lackiert.
Bohnerwachs wurde in das Schraubglas gefüllt.
Aus der Düse rechts sprühte das Wachs.
gebraucht wurde.
Das Ende des „Vorax“
Der VORAX wurde bis Mitte der 1960er Jahre genutzt und dann durch ein neues Gerät ersetzt. Der „Alte“ blieb aber im Haushalt in einem Abstellraum (man entsorgte doch nichts!). Schließlich kam die Idee auf, für den Staubsauger einen Interessenten zu suchen. Nach mehreren Anfragen z. B. auch im „Haus der Geschichte“ zeigte das LVR-Industriemuseum in Engelskirchen (Gebäude der ehemaligen Baumwollspinnerei Ermen & Engels* mit Dampfmaschinenhaus und Kraftwerk – für Technikinteressierte ein Highlight) Interesse. Einige Tage später wurde der Sauger übergeben. Es war eine große Freude, dass ein so vielseitiges, kurioses Haushaltsgerät aus früherer Zeit in einem Schaukasten eine Renaissance erlebt bzw. der Nachwelt erhalten bleibt.
Die Verbreitung des Vorax
Unter der Vertriebsmarke VORAX stellte die Firma Bresges aus Rheydt beginnend in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts bis in die 60er Jahre eine breite Palette von Geräten für den Haushalt und den Heimwerker her. Neben dem Multitalent Staubsauger-Föhn-Bohnerbesen wurden noch Küchen-Hand-Mixer, Küchen-Stand-Mixer (Bild 12), Entsafter, Heizlüfter und Handbohrmaschinen (Bild 13) hergestellt und vertrieben.
für drei Geschwindigkeiten
Sehr professionell waren auch die begleitenden Schriften wie Bedienungsanleitung und Kochbücher. Appelle an die Hausfrau als der Garant für die Gesundheit der Familie fehlten nicht.
Vertrieben wurden Vorax Geräte sicher in ganz Deutschland. Der Verkauf wurde an der Haustür und in der Wohnung des Kunden abgewickelt. Zeitungsinserate aus den 20er und 30er Jahren erschienen in ganz Nordrhein-Westfalen. Man war überall auf der Suche nach „tüchtigen Vertretern“.
Dezember 1928
Mai 1936
Generalanzeiger Mai 1938
Die Geschäfte müssen über längere Zeit recht gut gelaufen sein. Sucht man heutzutage im Internet nach „VORAX“, so zeigen uns die Suchergebnisse Angebote von historischen VORAX Geräten weit verteilt über Deutschland.1