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Kirmes nach dem Kriege

sonstiger Name: Ein Zeitzeugenbericht

Kirmes – Als die Karussells noch auf dem Franziskanerplatz aufgebaut wurden

von Wilhelm Borgs

Franziskanerplatz heute und früher

Anlässlich des Umbaus berichtete die Rheinische Post mehrmals  über den neuen Erkelenzer Franziskanerplatz. Auch im Virtuellen Museum war darüber zu lesen. Die Umgestaltung mit Spielgeräten, Klettergerüst, Wasserspielen für Kinder, die vielen Sitzgelegenheiten und auch die großzügigen Flächen für die Außen-Gastronomie wurden von Jung und Alt gut angenommen. Das war nicht immer so. In meiner Jugendzeit, in den 1950er Jahren, war der Bereich eine triste, freie Fläche, die nur für Kirmes, Zirkus und artistische Attraktionen (z. B. die Hochseilartisten Traber) wenige Male im Jahr benutzt wurde. Erst durch den Bau der Stadthalle bekam der Platz 1956 ein grüneres Aussehen, durch Rasen, Sträucher und Bäume und später einen Wasserlauf mit der Franziskus-Figur.

Kirmes in der Nachkriegszeit

Die Nachkriegszeit war durch viel Arbeit geprägt. Die Menschen wollten die schrecklichen Kriegsereignisse vergessen. Trümmerbeseitigung und Aufbau waren vorrangig. Vergnügungen gab es wenige. Kirmestage waren eine sehr willkommende Abwechslung vom harten Alltag. Mit den folgenden Zeilen möchte ich über meine Erinnerungen an diese Zeit berichten.

Attraktion Aufbau

Tage vor der Eröffnung der Kirmes trafen wir Kinder uns nachmittags am Platz, um das rege Treiben, dem Aufbau der Fahrgeschäfte und Buden der Kirmesleute zuzusehen. Toff, toff, so war das charakteristische Geräusch der Traktoren, die die schwerbeladenen Anhänger mit den Konstruktionsteilen bis zum Aufbauort zogen, zu hören.  Vor Haus Spies traf ich auf Jacob und aufgeregt kam Hans-Hermann gelaufen und rief schon von weitem: „Die bauen da schon mein liebstes Karussell, die Raupe, auf.“
 Wir sahen, wie die Männer die langen Holzbalken vom Anhänger hoben und auf dem Boden sternförmig verteilten. Mit Hilfe der Wasserwaagen und Unterlegklötze wurde das Grundgestell, der Boden, ausgerichtet. Für uns Kinder war das emsige Treiben der Kirmesleute sehr interessant, faszinierend wie die Männer ihr Handwerk beherrschten. Wieder war toff, toff in schneller Folge zu hören. Ein Traktor, der legendäre LANZ-Bulldog mit dem charakteristischen Klang, zog einen zweiten Anhänger zum Aufbauort. Der Traktor der Fa. LANZ hieß auf Grund seines Aussehens so, er sah eben wie eine Bulldogge aus. Ein spezieller Zweitaktmotor mit 12 PS, später 38 PS (Nachkriegsmodelle hatten 55 PS, heutige Maschinen haben einige hundert PS) trieb die vielfältig nutzbare Zugmaschine für Landwirtschaft und Gewerbe an. (Unter Oldtimer-Sammler ein sehr begehrtes Objekt.)

Mit dem Aufstellen der senkrechten Pfosten und Streben konnten wir sehen, dass es das Raupen-Karussell wurde. „Da, dort kommen die Wagen, auch Gondeln genannt“, rief Erna, sie war zwischenzeitlich zu uns gekommen. Prima, dann können wir ja bald fahren, war die einhellige Meinung. Vom nahen Kirchturm schlug es sechs Mal. Jacob meinte traurig: “Jetzt müssen wir nach Hause gehen.“ Langsam lösten wir uns von dem emsigen Geschehen und gingen, „Dann bis Morgen!“
Am nächsten Tag trafen wir uns nach der Schule wieder auf dem Franziskanerplatz und sahen, wie Herr Geiser, der Besitzer der „Raupe“, ein „brennendes Etwas“ in der Hand hielt.
Ich nahm allen Mut zusammen und fragte: „Was ist das und was machst du damit?“ „Tja, Jung, das ist eine spezielle Lötlampe, die brauche ich zum  Vorwärmen des Traktormotors.“ Diese schob er in die untere Öffnung des Glühkopfes (das klobige, schwarze Metallteil zwischen beiden Vorderrädern) des Lanz-Bulldogs und wärmte damit den Motorblock vor (wie beim Dieselmotor). Es zischte und rauchte mächtig (wie ein fauchender Drache). Nach einigen Minuten nahm Herr Geiser die Lötlampe aus dem Glühkopf, kletterte auf den Sitz des Traktors und hatte plötzlich das Lenkrad mit einem langen Rohr in der Hand. Erstaunt fragte ich: „Warum nimmst du dem Traktor das Lenkrad weg?“ Er steckte nun den verlängerten Lenker in eine runde Öffnung, seitlich am Traktor-Motorblock. Mit viel Schwung drehte er das große Rad. Und, da war es wieder, toff und toff, toff, das bekannte, typische Geräusch, der Motor lief. Das Lenkrad kam dann wieder an  seinen Platz. „Toll, toll!“, meinte Hans-Hermann, „Der hat bestimmt mehr als 25 PS?“ „ Ja“, sagte Jacob, dessen Vater einen Lastwagen  hatte, „PS bedeutet: Pferdestärken, so bezeichnet man die Leistung der Motoren“, meinte er.
Einer der Montageleute kam auf uns zu und fragte: “Kann von euch Jungen einer Säge- oder Hobelspäne besorgen?“ „Ja, ich, mein Opa hat eine Schreinerei.“  Nachdem ich Opa Heinrich erzählt hatte, was ich wollte, sagte er: „Hol zwei leere Kartoffelsäcke (aus Jute) aus dem Keller!“ Mit den zwei vollgepackten Säcken, die ich teilweise über dem Boden zog, kam ich an der Raupe an. Lächelnd meinte der Mann mit der tiefen Stimme: “Das hast du prima gemacht. Hier, dafür bekommst du zwei Freikarten.“ Schnell lief ich nach Hause und erzählte meiner Mutter die Geschichte. Abends wollte auch mein Vater wissen, wie ich die Freikarten bekommen hatte. Er erklärte mir, wofür die Späne gebraucht werden. „Karussells haben viele bewegliche Teile, die mit Öl geschmiert werden. Zum Auffangen und Entsorgen des übergelaufenen Öls dienen die Holzspäne“.

© Wilhelm Borgs | Zeichnung Lanz und Raupe
Aufbau der RAUPE mit LANZ-Bulldog. Zeichnung von Wilhelm Borgs

Am nächsten Tag, es war ein Samstag, wurde die Kirmes eröffnet. Kein Traktor, kein Anhänger stand mehr zwischen den Buden und Karussells, alles war aufgeräumt.


Herr Geiser saß am Steuerpult. Mit einer Hand versenkte er mehrere metallisch glänzende, dünne Kreissegmente, die wie eine große Brotschneidemaschine aussahen, in einen Behälter, der mit Salzwasser gefüllt war. Es zischte und dampfte enorm. Mit dieser Anlage wurde die Geschwindigkeit der Raupe gesteuert. Beim Ertönen der Sirene schloss sich das Verdeck oder öffnete sich wieder.

Beim nächsten Stillstand stiegen wir Kinder schnell in eine Gondel. Die Männer der Raupen-Aufbaumannschaft sammelten die Karten ein und schon ging es los. Während der rasanten Fahrt mussten wir uns mächtig festhalten, weil die Zentrifugalkraft uns nach außen drückte. Aber der Spaß war riesengroß, besonders, wenn das Verdeck sich schloss (bei jungen Paaren deshalb auch sehr beliebt). Leider war die Fahrt nach ein paar Runden zu Ende.

Angebot in den 1950er Jahren

Neben dem Raupen-Karussell gab es Auto-Selbstfahrer (heute: Auto-Scooter), Ketten- und Kinder-Karussell, Riesenrad, Schiffschaukel, Losbuden und Schießstände.  Man schoss mit Luftgewehren auf Tonröhrchen oder beweglichen Tier-Attrappen aus Ton. Bei genügenden Treffern gab es Papierblumen, einfaches Spielzeug oder Süßes. Ähnliches gab es bei den Los-Buden; leider waren die Hauptgewinne sehr rar.
Zum Schluss gab es noch ein leckeres Eis. So ging ein schöner Tag zu Ende und nachts träumte ich vom Lanz-Bulldog, Hobelspänen, Freikarten, und schnellen Raupenfahrten.1

  1. Text von Wilhelm Borgs 2024
  1. Wolfgang Wagner, Als der Bulldog grün wurde. Traktorengeschichte 1945 - 1967. Augsburg, ISBN: 3828954227, 2010

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