Vorbemerkung
Mit zunehmendem Fortschritt im technischen und medizinischen Bereich wurde im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts der Tod weitgehend aus unserem Bewusstsein gedrängt. Todeserfahrungen machen Menschen kaum noch. Da uns heute alles machbar scheint, verdrängen wir gerne das Unbeherrschbare, das Nichtmachbare, also auch den Tod aus unserem Bewusstsein. Wir wollen nichts mehr damit zu tun haben. Sterben erfolgt nicht selten nur noch in Krankenhäusern, Altenheimen oder Hospizen, Begräbnisse werden von Beerdigungsinstitutionen organisiert. Dabei gehen häufig Gefühle wie Trauer zeigen und Handlungen wie Trost spenden verloren. Wir wissen nicht mehr, wie wir mit Hinterbliebenen umgehen sollen.
Als der Tod noch fester Bestandteil des menschlichen Lebens war, gab es fast überall in Deutschland feste Bräuche, wie mit Verstorbenen und deren Hinterbliebenen umgegangen werden sollte. Nahezu überall in Deutschland wurde der Tote1 in der „guten Stube“ oder im Schlafzimmer aufgebahrt. Nachbarn, gute Freunde und Verwandte beteten gemeinsam mit den Trauernden um den Verstorbenen und halfen ihnen, den Schmerz zu überwinden.
Franz Holländer aus Matzerath hat für den Heimatverein der Erkelenzer Lande e. V. die Totenbräuche seines Dorfes beschrieben.2 Sie sollen hier als Beispiel für den Umgang mit Toten bis in die 2. Hälfte des 20. Jahrhundert beschrieben werden.
Rituale nach dem Tod
Versorgung des Toten und Aufbahrung
Wenn ein Matzerather Mitbürger starb, so sorgte meist die Nachbarschaft für die Vorbereitungen des Begräbnisses. Zunächst wurde die Küsterin oder der Küster benachrichtigt. Sie oder er läuteten dann die Totenglocke der Kirche, um allen Bürgern des Dorfes den Tod eines Mitbürgers anzuzeigen. Der Tote wurde meist zu Hause aufgebahrt. Dazu musste er hergerichtet werden. Nachbarn oder auch andere Dorfbewohner halfen dabei, den Verstorbenen zu waschen und festlich zu kleiden. Häufig wurde ihm durch ein Tuch, das um den Kopf gebunden wurde, der offene Mund verschlossen, damit er bei der Leichenstarre friedlich geschlossen war.
Nach der Herrichtung des Toten wurde die „gute Stube“ ausgeräumt, damit der Tote aufgebahrt werden konnte. Die Fensterläden wurden geschlossen und das Zimmer mit schwarzen Tüchern verhangen. Der Tote lag im offenen Sarg. Er war von Blumen umgeben. Im Zimmer leuchtete eine Öllampe, das ewige Licht.
Totengeläut
Mit der Küsterin oder dem Küster wurden die Zeiten für die Rosenkranzgebete in der Sankt Josef Kapelle festgelegt. Durch ein Kind aus der Nachbarschaft des Toten wurden diese Termine dem Dorf kundgetan.
Aufgaben der Nachbarschaft
Nach dem ersten Rosenkranzgebet traf sich die ganze Nachbarschaft im dem Hause, das von der Straße aus rechts neben dem Totenhaus lag, um den Ablauf des Begräbnisses zu besprechen. Dazu gehörte die Festlegung der Sargträger und des Kindes, das das Grabkreuz hinter dem Leichenwagen tragen sollte. Für einen Kranz in der Kapelle und gegebenenfalls für Unterstützung der Trauerfamilie wurde Geld eingesammelt.
An diesem Abend wurden die „Sieve Märkes“ (Sieben, möglichst unverheiratete Mädchen) aus der Nachbarschaft, gegebenenfalls aus dem Dorf bestimmt. Sie trafen sich an einem festgelegten Abend am Sarg des Toten, beteten dort für ihn, zogen dann durch die Felder betend zum Hohenbuscher Kreuz und wieder zurück zur Kapelle, wo sie ihr Gebet beendeten. Es bestand aus 7 Rosenkränzen und dem Fünf-Wunden-Gebet3.
Rituale am Sarg
Nach Schulschluss ging der Lehrer mit seiner Schule (eine Klasse) zum Trauerhaus, um am Sarg das Glaubensbekenntnis und je ein „Ave Maria“ für Glaube, Hoffnung und Liebe sowie ein „Trienchen“ (ein Gesetz des Rosenkranzes) und das „Fünf-Wunden-Gebet“4 zu beten. Dies erfolgte, solange der Tote aufgebahrt war.
Begräbnis
Am Tage der Beerdigung wurde der Tote vor dem Haus noch einmal im geschlossenen Sarg aufgebahrt. Die Sargträger standen so lange Ehrenwache, bis der Leichenzug sich in Gang setzte. War der Tote Mitglied der Schützenbruderschaft oder Feuerwehr, so standen Kameraden aus dem jeweiligen Verein Ehrenwache.
Da Matzerath keinen eigenen Friedhof hatte, musste der Leichenzug in einer Prozession zu Fuß von Matzerath zur Pfarrkirche Sankt Lambertus nach Erkelenz gehen. Das entsprach einem Fußweg von etwa 2,5 km. Den Zug führte der Leichenwagen an, meist gezogen von einem Pferd. Ihm folgte das zuvor bestimmte Kind mit dem Grabkreuz. Es musste das Kreuz so tragen, dass der Name des Toten zum Leichenzug zeigte. Während des ganzen Zuges läutete die Totenglocke der Sankt Josef Kapelle.
In der Lambertuskirche in Erkelenz wurde während der Exequien der Sarg in die Kirche gestellt und von der Ehrenwache „bewacht“. Nach den Exequien ging es weiter zum Friedhof, wo die Grabniederlegung erfolgte.
Beerdigungskaffee
Die Verwandten des Verstorbenen luden in der Regel zu Kaffee und Kuchen ins Trauerhaus. Dazu hatte die Nachbarschaft während der Beerdigung die „gute Stube“ so hergerichtet, dass dort gefeiert werden konnte. Die Kinder der Schule erhielten für ihre Gebete jeweils ein großes Rosinen- und Korinthenbrötchen. Die „Sieve Märkes“ wurden am Sonntagnachmittag zu einem gesonderten Kaffee eingeladen.
Schlussbemerkung
Diese Bräuche hielten sich bis in die 1960er Jahre. Sie änderten sich mit zunehmender Mobilisierung der Gesellschaft. So fuhren etwa die Matzerather, die einen PKW besaßen, direkt nach Erkelenz zur Kirche, statt den Weg über die zunehmend gefährlich werdende Hückelhovener Straße mitzugehen. Die letzte Beerdigung von Matzerath aus erfolgte 1967. Auch der Brauch der Aufbahrung des Toten im eigenen Haus ging immer mehr zurück. Der Verstorbene wurde nun in den meisten Fällen im Leichenhaus aufbewahrt und kam von dort aus dann, wenn gewünscht, in die Kirche. Das hatte zur Folge, dass auch die Gebetsgebräuche zu Hause verschwanden. Gehalten hat sich der Brauch des Rosenkranzgebets in der Kapelle und der Beerdigungskaffee, der seit den 1990er Jahren im Jugendheim Matzerath abgehalten wird.
Mit der Wandlung der Gebräuche einher ging auch eine Wandlung des Umgangs mit der Trauer. Sie ist heute wesentlich anonymer als früher. Während die Trauernden früher wie selbstverständlich von den Nachbarschaften getragen wurden, so ist man heute wesentlich mehr auf die Familie oder Trauerangebote angewiesen.5
- Der männliche Gebrauch des Wortes gilt allgemein für tote Männer und Frauen.
- siehe Franz Holländer: Totenkult in Matzerath im 20. Jahrhundert, a. a. O.
- Ritualisierte Gebete zu den einzelnen Wunden Christi, häufig mit der Bitte um einen selbst. Beispiel siehe https://www.marianisches.de/der-heilige-kreuzweg/gebet-zu-den-heiligen-f%C3%BCnf-wunden/ (Stand: 29.06.2025)
- s. o.
- Text von Wolfgang Lothmann 2025 für den Heimatverein der Erkelenzer Lande e. V. Grundlage ist der Text von Franz Holländer im Band 20 der Schriftenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande „Totenkult in Matzerath im 20. Jahrhundert“
- Schriftenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande e.V.. Band 20, 2006. Arbeitskreis „Erforschung und Darstellung der Geschichte”: Aus der Geschichte des Erkelenzer Landes. Darin: Franz Holländer: Totenkult in Matzerath im 20. Jahrhundert, Seite 256 - 264 ,
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