Vorbemerkung
Bereits im Jahre 1965 entdeckten Grabungstechniker des Rheinischen Landesmuseums Bonn/Rheinischen Amts für Bodendenkmalpflege in der Gegend östlich von Erkelenz-Kückhoven eine Siedlungsstelle der Jüngeren Rheinischen Bandkeramiker. (Jungsteinzeit). Als im Jahre 1989 die Kiesgrube GRUBA in diesem Fundgebiet eröffnet werden sollte, wurden im Vorfeld genaue archäologische Untersuchungen durchgeführt, die vielfältige Belege für die Besiedlung zu Tage förderten. Aus den Funden konnte das archäologische Team schließen, dass diese Ansiedlung groß gewesen sein musste. Mindestens 65 Hausgrundrisse wurden freigelegt. Die nebenstehende Skizze zeigt die Ergebnisse der Grabungen.
Entdeckung des Brunnens
Im Jahre 1990 fand man vor Beginn der Auskiesung beim Abtrag der Lössschicht in einer Tiefe von etwa 7 Metern Hölzer, die teilweise am Ende beilartig bearbeitet schienen. Eine Radiokarbondatierung1 ergab ein Alter des Holzes von 6145 Jahren zum Zeitpunkt der Entdeckung. Somit stammten die Hölzer aus dem 6. Jahrtausend vor Christus und konnten der dort gefundenen bandkeramischen Siedlung zugeordnet werden. Im Februar 1990 konnte eine kastenförmige quadratische Holzkonstruktion freigelegt werden, die die Vermutung bestätigte, dass die zunächst gefundenen Hölzer von einem Brunnen stammten. Weitere Ausgrabungen zeigten, dass die Sohle der Baugrube erst nach weiteren 8 Metern Tiefe erreicht wurde. Mit diesem Fund konnten die Archäologen erstmals einen bandkeramischen Brunnen freilegen, „dessen Konstruktion vermutlich noch eine Erhaltung über eine Tiefe von 8 m aufwies“2. Die gut erhaltenen Stützhölzer boten gute Einblicke in die Arbeitsweise der damaligen Zeit, die Sedimentschichten enthielten Spuren der damals vorhandenen Pflanzen- und Tierwelt.
Aufbau des Brunnens
Zunächst hatte man einen Brunnenkasten mit einer Kantenlänge von 1,60 m x 1,60 m gefunden. Weitere Ausgrabungen zeigten einen zweiten Brunnenkasten mit einer Kantenlänge von 3 m x 3 m, der um den kleineren Kasten gebaut war. Alle Holzbohlen bestehen aus Eichenholz und sind in Blockbauart3 zusammengefügt. Diese Entdeckung war archäologisch deshalb interessant, da man bisher die Blockbauweise als eine Errungenschaft der späten Bronzezeit angenommen hatte. Beschädigungen des größeren Kastens ließen die Vermutung zu, dass der kleinere Kasten zur Reparatur des größeren nachträglich eingebaut wurde. Im Oktober 1991 wurde noch ein dritter Brunnenkasten in einer Tiefe von 10 Metern unter der heutigen Oberfläche gefunden. Er weist die Maße 1,10 m x 1,10 m auf. Vermutlich handelte es sich ebenfalls um eine Reparatur des 2. Kastens.4
Alter des Brunnens
Die dendrochronologischen Untersuchungen5 ergaben zunächst für die drei Brunnenkästen unterschiedliche Entstehungszeiten. Der äußere Kasten entstand 5090 v. Chr., der mittlere 5067 +/- 5 Jahre v. Chr. und der kleine 5050 v. Chr.6 Damit stand fest, dass die drei Brunnenkästen eigenständige Bauten waren. Spätere Untersuchungen zeigten jedoch, dass die Bohlen des mittleren und kleinen Brunnenkastens aus der gleichen Zeit, nämlich 5057 +/- 5 Jahre v. Chr., stammen. Dies hatte Folgen für die Deutung der Baugeschichte des Brunnens.
Theorien zur Baugeschichte
Warum hatten die Menschen der Jungsteinzeit gleich drei Brunnenschächte gebaut? Diese Frage beschäftigte die Archäologen. Sie stellten unterschiedliche Hypothesen auf.
Ursprünglich nahm man an, dass durch eine Grundwasserabsenkung der Brunnen trocken fiel und die Wände teilweise beschädigt wurden. Er wurde mit Unrat aufgefüllt. Nach einer erneuten Grundwasseranhebung wurde der Brunnen wieder instand gesetzt, indem man neue Brunnenwände in die alten, teilweise zerstörten einsetzte. Woher man in der Zwischenzeit Wasser bekam, bleibt in der Theorie unklar. Auch weisen die Materialien, mit denen der Brunnen gefüllt wurde, darauf hin, dass nicht nur Hausmüll hier abgelagert wurde. Man fand hier unter anderem abgebrannte, aber auch nur angekokelte, bearbeitete und unbearbeitete Holzteile.
Diese Befunde und die Tatsache, dass der mittlere und kleine Holzkasten aus der gleichen Zeit stammen, lassen eine andere Hypothese wahrscheinlicher erscheinen. Sie geht davon aus, dass die Siedlung topographisch gesehen eine ungewöhnliche und herausragende Lage hatte und aus diesem Grunde vor 5063 bis 5052 v. Chr. angegriffen und zerstört wurde. Für diese Hypothese sprechen die Funde von Holzkohle in Pfostenlöchern und Rotlehm7. Durch die Zerstörung des Brunnens wären die Bewohner des notwendigen Wassers beraubt worden. Diese Zerstörung sei aber nur zum Teil gelungen. Aus diesem Grunde habe man die Stützkonstruktion mit dem Umlenkholz über dem Brunnen zerstört und in den Schacht geworfen (Funde belegen ein Umlenkholz und Seilteile im Brunnenschacht). Der Brunnen wurde danach mit weiteren verbrannten Hausteilen, Hausrat und Erde aufgefüllt. Eine spätere Wiederbesiedlung des Dorfes habe dann zu einer generellen Reparatur des Brunnens durch den mittleren und kleinen Kasten geführt. Der mittlere Kasten wurde benötigt, um auf festen Untergrund zu kommen, von dem aus zum Grundwasser gegraben werden konnte.
Schlussbemerkung
Es lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, ob eine der Hypothesen stimmt. Die Ausgrabungen sprechen für die zweite Erklärung. Der Brunnen, der sich heute im LVR-Landesmuseum Bonn befindet, zeigt in jedem Fall, dass die Gegend um Erkelenz bereits in der Zeit, als die Menschen sesshaft wurden, besiedelt war und dass die Menschen in dieser Zeit bereits über handwerklich hohe Fähigkeiten verfügten. Der Brunnen und die darin gefundenen Gegenstände waren und sind für die Beschreibung der Jungsteinzeit ein äußerst wichtiger Fund.
Bis zum Jahre 2011 galt der Brunnen in Kückhoven als der tiefste, je gefundene Jungsteinzeitbrunnen. In jenem Jahr entdeckten Archäologen unweit des Dorfes Merzenich-Morschenich in einer Jungsteinzeitsiedlung einen Brunnen, der noch tiefer in die Erde hinabreichte.8
- zum Verfahren siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Radiokarbonmethode
- Jürgen Weiner, Band 12, a. a. O., Seite 26
- Als Blockbauweise bezeichnet man das Aufeinanderschichten liegender Hölzer
- Daten entnommen aus Jürgen Weiner, Band 12, a. a. O.
- Die Dendrochronologie ist die Auswertung von Jahrringen aus Holzpflanzen, die eine bis auf das Jahr genaue Altersbestimmung der Bäume ermöglicht.
- Siehe Jürgen Weiner, Brunnen der Jungsteinzeit, a. a. O., Seite 95
- Siehe Jürgen Weiner, Brunnen der Jungsteinzeit, a. a. O., Seite 101
- Text von Wolfgang Lothmann 2023 für den Heimatverein der Erkelenzer Lande e. V.
- Schriftenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande e.V.. Band 12, 1992. Jürgen Weiner: Eine bandkeramische Siedlung mit Brunnen bei Erkelenz-Kückhoven, Seite 17 bis 33 ,
- Brunnen der Jungsteinzeit. LANDSCHAFTSVERBAND RHEINLAND Rheinisches Amt für Bodendenkmalpflege (Hrsg.): Materialien zur Bodendenkmalpflege im Rheinland, Heft 11, Köln, ISBN: 3-7927-1746-8, 1998 ,
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