Im Tod unsterblich – Eine Priesterin eines geheimen Kultes aus Borschemich
Von Hermann-Josef Heinen
Der Jahresrückblick des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege im Rheinland „Archäologie im Rheinland“ widmet sich in diesem Jahr Gräbern von der Jungsteinzeit bis in die Neuzeit. In der gemeinsamen Ausstellung mit LVR-LandesMuseum Bonn unter dem Titel „Im Tod unsterblich“ wird den Besuchern ein breites Spektrum von archäologischen Höhenpunkten angeboten.
Dr. Erich Claßen, Leiter des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege im Rheinland: „Anhand von Neufunden, aber auch weiteren ausgewählten Grabfunden mit teils spektakulärer Ausstattung beleuchtet die Ausstellung, wie menschliche Gemeinschaften mit ihren Verstorbenen umgingen und welche Rückschlüsse Archäologinnen und Archäologen daraus ziehen.“
So erlauben Gräber sowohl durch ihre Art der Beisetzung im Besonderen als auch durch die Beigaben Aussagen zur materiellen und geistigen Kultur, zu Glaubensvorstellungen, Riten und sozialer Stellung. Weitere Informationen liefern zudem die menschlichen Überreste, die Auskunft über Geschlecht, Alter, Krankheiten, Verletzungen und Mangelerscheinungen und damit auch zu Umwelt- und Lebensbedingungen geben können.
In der Ausstellung werden beispielhaft auch einzelne Personen vorgestellt – und so „im Tod unsterblich“: einen Bogenschützen aus Rheinbach, eine Amazone aus Weeze, einen Geköpften aus Kuchenheim, eine Schöne aus Zülpich und einen Krieger aus Bonn-Beuel.
Das Grab einer Priesterin
Auch das Grab einer „Priesterin aus Borschemich“ wird präsentiert, die mit nur 32 Jahren auf dem Areal ihrer villa rustica bei Borschemich zu Grabe getragen wurde. Das Grab aus der Römischen Kaiserzeit des frühen 2. Jahrhunderts n. Chr. zählt zu den außergewöhnlichsten Brandbestattungen in der römischen Provinz Niedergermanien.
Da religiöse Glaubensvorstellungen im Leben der Verstorbenen eine wichtige Rolle spielten, hatten die Angehörigen einen besonderen Bestattungsort ausgewählt: ein Landheiligtum auf dem Areal ihrer villa rustica. Die Tote wurde hier mit Gold durchwirkten Gewändern und einem goldbesetzten Haarnetz (2) auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Über ihrem Grab errichtete man einen hölzernen, tempelartigen Grabbau. Zuvor legten ihr die Familie oder nahestehende Personen teils einzigartige Beigaben mit ins Grab, darunter einen goldenen Fingerring (2) und einen eisernen Faltstuhl.
Als Waschservice wurden ihr ein bronzenes Becken mit Deckel (3) und ein Doppelhenkelkrug (4) mitgegeben. Drei Glasgefäße (Balsamarien, 5) dienten als Behältnis für Duftstoffe und Salböle, eine Talglampe aus Ton (6) zur Beleuchtung.
Ihr Wirken als Priesterin zeigen uns die Kultgefäße an, darunter eine schliffverzierte Schale aus dem Halbedelstein Chalzedon (7) für Trankopfer mit dem Motiv Ewigen Lebens, eine Griffschale aus Bernstein für Räucherwerk (8).
Das „Götterkästchen“
Bei diesem Holzkästchen, hier in Rekonstruktion, handelt es sich um eine Acerra, ein Behältnis zur Aufbewahrung von Weihrauch. Das Kästchen (9) war mit halbkugeligen Glaskügelchen (10) sowie mit Zierstreifen und acht figürlichen Zierappliken aus Schildpatt (11), also Hornschuppen des Rückenpanzers einer Schildkröte, besetzt: Sie zeigen die römischen Götter Mars, Apollo, Diana, Minerva, Juno und Sol, aber auch die ägyptisch, griechisch-römische Mischgottheit Hermanubis und den ägyptischen Gott Serapis.
Fotos: Jürgen Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn
Serapis ist durch das Sonnensymbol auf seiner Kopfbedeckung (Modius, abgeleitet von einem Getreidescheffel) kenntlich. Er tritt hier an die Stelle des höchsten römischen Gottes Jupiter und wird im Rahmen eines Mysterienkultes verehrt. Die hier im frühen 2. Jahrhundert beigesetzte Frau sollte auch über den Tod hinaus als Priesterin dieses stark jenseitsbezogenen Kultus erkennbar sein. Die im Geheimen ausgeübten Kulte erfreuten sich im Römischen Reich großer Beliebtheit. Anders als die römische Staatsreligion versprachen sie eine besondere Nähe zur verehrten Gottheit, in der sich verschiedene Gottheiten zu Glaubensvorstellungen vereinten, und auch die Verheißung von Erneuerung, Wiedergeburt und Ewigem Leben.
Foto: Jürgen Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn
Der mobile Thron
Die besondere Stellung der Priesterin von Borschemich und die exquisite Ausstattung ihres Grabes werden durch den eisernen Faltstuhl, der zusammengefaltet beigegeben war, unterstrichen. Faltstühle gelten als Ausstattungsmerkmal von Gräbern der römischen Oberschicht. Das hier gefundene Exemplar ist jedoch als Unikat ausgeführt.
Der Faltstuhl weicht durch die vorhandene Rückenlehne, die Armlehnen und die Konstruktion von allen bekannten Beispielen ab. Statt der üblichen X-förmig gekreuzten Stuhlbeine, die sich über ein Mittelscharnier einfach auf- und zusammenfalten lassen, verfügt der Stuhl über einen Laufscharniermechanismus. Dieser ist von faltbaren Tischgestellen bekannt, nicht aber von Faltstühlen.
Dieses Fundstück aus dem Grab der Priesterin ist nicht nur ein mobiles Sitzmöbel, sondern auch Zeichen von Amt und Status der Verstorbenen. Ihrer Stellung gemäß konnte sie auf diesem Stuhl thronen.
Information
Die Ausstellung „Archäologie im Rheinland“ im LVR-LandesMuseum Bonn ist noch bis zum 20.08.2023 zu sehen. Der Eintritt in die Ausstellung ist frei.
Mehr über die Ausstellung erfahren Sie auf der Website des Historischen Vereins Wegberg unter: https://www.historischer-verein-wegberg.de/news-and-views-2023-03-01-archaeologie-im-rheinland-2022.php1