Einleitung
Die Corona-Pandemie und deren vielfältige Auswirkungen brachten 2020 und 2021 sowohl das private als auch das öffentliche Leben „durcheinander“. So etwas in unserer Zeit, dies erschien bisher eigentlich unmöglich. Aber immer schon, auch im Erkelenzer Land, hat es Seuchen – z. B. Pest, Cholera, Lepra – mit vielen Erkrankten und Toten gegeben und es gab auch Einrichtungen, in denen Erkrankte isoliert wurden, z. B. in sogenannten Siechen- oder Leprosenhäusern. Teilweise wurden auch die Begriffe „Melaten- oder Blatenhäuser“ gebraucht. Von Behandlung, so wie heute, kann natürlich nicht gesprochen werden. Im Grunde genommen ging es nur darum, die Erkrankten zu isolieren und Kontakte zu anderen Personen zu vermeiden.
Alle Siechenhäuser lagen natürlich, wie es die Begriffe Aussatz und Aussätzige erwarten lassen, außerhalb der Stadtmauern, die größeren aber typischerweise fast noch in deren Sichtweite nur wenige Kilometer entfernt, gleichzeitig aber an einer Einfallstraße, da dies die Chance erhöhte, von den Passanten Almosen zu erhalten. So standen von den Häusern bei Erkelenz die von Gerderath und Erkelenz-Oerath direkt an der großen „Heerbahn”, der Fernstraße Antwerpen-Roermond-Köln, und die von Erkelenz-Oestrich, Unterwestrich und Kückhoven entweder nicht weit davon entfernt oder an einer Abzweigung.
Die Siechenhäuser in Erkelenz
Nicht weniger als fünf Leprosen-, Siechen-, Melaten- oder Blatenhäuser – mundartlich auch zu Sieches, Seekes oder Blates verkürzt – lassen sich im 16. und 17. Jahrhundert in den Grenzen der heutigen Stadt Erkelenz nachweisen1.
Das Siechenhaus zwischen Erkelenz und Oestrich
Das ältere sieckhuys der Stadt stand buyten Erkelenz bei der Kaerlekircken, wie seine Lage 1535 präzise beschrieben wird2, also neben der 1452 erbauten, Karl dem Großen geweihten Kapelle am Carle. Dort war es an dem Siechausstreßgen von Oestreich beziehungsweise „neben der Pilgrumsgasse gelegen3. Der ungefähre Standort dieser – der älteren – Karlskapelle etwas nordöstlich der Hauptstraße Köln-Roermond und damit auch der des Siechenhauses ist somit bekannt und in die Nähe des Ziegelweihers im Bereich der heutigen Straßenkreuzung Anton-Heinen-Straße/Oestricher-Straße zu lokalisieren4.
Leider ist nicht nur die Zeit der Erbauung, sondern auch die der Schließung des Hauses bei Oestrich unbekannt. 1619 ist jedenfalls die Rede von dem Platz, da das Melatenhaus gestanden, am Carl gelegen5. Es ist auch nicht bekannt, ob es aufgegeben wurde, weil es leer stand und später der neue Standort zwischen Erkelenz und Oerath einfach besser geeignet war.
Eine neue Karls-Kapelle wurde 1845 an anderer Stelle in Oestrich gebaut.
Das Siechenhaus zwischen Erkelenz und Oerath
Das jüngere der beiden Erkelenzer Leprosenhäuser lag vor dem Oerather Tor an einem geradezu klassischen Platz, nämlich an der Gabel der Straßenverbindung nach Roermond mit dem Weg nach Venlo und Wegberg6. Wann genau es hier entstanden ist, ist nicht bekannt, wohl irgendwann nach dem Jahre 1619. So führte 1712 der heerweg von der stadt nachm siechenhauß, 1714 aber auch eine gaß nach dem siechenhauß von einem Garten vor der oerather pfortzen aus7. Durch den Flurnamen „Sekes” auf einer Katasterkarte wird die Stelle deutlich bezeichnet8.
Das Ende des Siechenhauses ist nicht genau bekannt. Bekannt ist, dass entsprechend der gemeinsamen Kompetenz von Kirche und Staat am 31. Mai 1719 vom Rat und in Gegenwart des Dechanten beschlossen wurde, das Siechenhaus nach dem Tod des letzten Bewohners abzubrechen und das Material zu verkaufen. So wurde das Siechenhaus im Jahre 1720 abgebrochen und das Grundstück verpachtet9.
Die Sankt Rochus-Kapelle
An der Straßengabelung Roermond – Venlo wurde 1772 eine Kapelle zu Ehren des Heiligen Rochus, u. a. Schutzpatron der Pest- und anderen Seuchenkranken erbaut. Sie sollte an das ehemaligen Siechenhaus, das in diesem Bereich gestanden hatte, erinnern. 1969 wurde die Kapelle wegen der Straßenverlegung abgerissen, im Jahre 1988 wurde eine neue Kapelle gebaut. Einzelheiten dazu können Sie hier nachlesen.
Die Finanzierung der Siechenhäuser
Finanziert wurden die Leprosenhäuser überwiegend durch Stiftungen. Es sind mehrere Urkunden vorhanden, die solche Stiftungen bestätigen. Bekannt ist ein Fall einer ungewöhnlichen Zuwendung. Als ein Erkelenzer Bürger Selbstmord (5. Dezember 1612) begangen hatte, sprach man seine Hinterlassenschaft den „Melaten“ zu10.
Die Stiftungen wurden vom sogenannten Siechen- oder Leprosenmeister verwaltet. In der Zeit zwischen 1686 und 1720 sind zahlreiche Namen bekannt. Zum Teil waren auch die Gasthausmeister gleichzeitig Leprosenmeister. Die Bezeichnung Leprosenmeister erscheint übrigens noch 1783 und 1785, als die Lepra in Erkelenz längst Vergangenheit war. Das Stiftungsvermögen wurde nämlich weiter unter dem alten Titel geführt und sicherlich im Rahmen der Armenfürsorge für caritative Zwecke eingesetzt11 .
Das Leben in den Siechenhäusern
Über das Leben in den Leprosenhäuser in Erkelenz ist wenig bekannt. Allgemein dienten sie der Isolierung insbesondere von Lepraerkrankten, so gab es z. B. zeitweise Eheverbote für an Lepra Erkrankte. Das wurde aber später sehr gelockert. Wahrscheinlich lebten, zumindest zeitweise, aber auch Familien im Siechenhaus. Dies ergibt sich u. a. aus dem Taufregister von St. Lambertus. So wurden zwischen 1659 und 1696 in der Pfarrkirche St. Lambertus noch 10 Kinder getauft, bei denen mindestens ein Elternteil als leprös galt; 1685 wurden bei einer Taufe gar beide Eltern und die beiden Zeugen als aussätzig bezeichnet.
Das Siechenhaus in Kückhoven
Nur eine Urkunde der Erkelenzer Schöffen vom 1. März 1638 berichtet von den Leprosen von Kückhoven.12. Da Kückhoven bis ins 19. Jahrhundert Teil der Stadt Erkelenz war, ist davon auszugehen, dass Lepraerkrankte im Erkelenzer Siechenhaus untergebracht wurden. Evtl. bestanden auch besondere Stiftungen.
Das Siechenhaus bei Unterwestrich
Die Flurbezeichnung „in der Sykershütte” beziehungsweise „in der Sykenhütte” bei Unterwestrich in der Nähe des Zourshofes erinnert an dieses Siechenhaus, über das der Keyenberger Pfarrer Schmitz 1941 in seinen Kirchenbüchern einige Notizen fand13. Danach hatte die Pfarre Keyenberg, zu der das Terrain gehörte, 1648 eine Reparatur am „Siechenhaus zu Westrich gelegen” bezahlt, und 1708 hatte der Pfarrer Claeßen geschrieben, von 1701 bis 1708 seien Almosen an das Haus der „leprosorum” hinter Westrich gegeben worden. Das Haus besaß also kein eigenes oder nur ein geringes Vermögen, hat aber immerhin mindestens rund 60 Jahre bestanden.
Das Melatenhaus bei Gerderath
Wieder durch Flurnamen lässt sich das Siechenhaus zwischen Gerderath und Myhl an der Fernstraße von Roermond nach Köln lokalisieren. 1824 heißen diese Flurnamen „im Blates”, „hinter Blateshaus” und „am Blatespfad”14. Die sprachliche Umwandlung von Melaten zu Blaten ist am ganzen Niederrhein die Regel, kommt aber auch noch in Aachen und Jülich vor.
Die Existenz des Melatenhauses in Gerderath wird durch das Protokoll einer Kirchenvisitation vom 13. Januar 1560 bewiesen15. Der Pfarrer von Gerderath beklagt sich hierbei über seine geringen Einkünfte und führt unter anderem aus, dass die Aussätzigen entgegen altem Brauch durch den Magistrat von Wassenberg „siner sorgen zugethan” würden. Er verlangt, von dieser Aufgabe befreit oder vom Gasthaus in Wassenberg hierfür entlohnt zu werden.
Weitere konkrete Nachrichten über das Siechenhaus bei Gerderath sind nicht bekannt.16
- Brans, a. a. O., Seite 116
- Stadtarchiv Erkelenz (künftig STA), Urkunde Nr. 167/1, s. auch Dieter Kastner, Die Urkunden des Stadtarchivs Erkelenz, Regesten, a. a. O., Nr. 115
- Klaus Flink, Rheinischer Städteatlas, Lieferung III, Nr 15, Erkelenz, a. a. O., S. 8
- Josef Lennartz/Theo Görtz, Erkelenzer Straßen ,a. a. O., S. 131 bzw. Übersichtskarte S. 175
- Klaus Flink, Rheinischer Städteatlas, a. a. O., S. 8
- Josef Lennartz/Theo Görtz, a. a. O., S. 117 bzw. Übersichtskarte S. 175
- Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Geldern Gerichte VIII, Nr. 8 Kaufbuch Erkelenz, Bl. 49 r und 61 r. In diesem Kaufbuch finden sich aus den Jahren 1712 bis 1718 noch mehrmals Lagebezeichnungen wie hinterm oder negst dem Siechenhaus. Auch Land zwischen dem Siechenhaus und Matzerath wird genannt
- Katasteramt des Kreises Heinsberg, Urkarte Erkelenz Flur 1
- Brans, a .a. O., Seite 129
- Werner Reinartz, Rechtsprechung in Erkelenz um 1600, a. a. O., S. 70, dort auch das Folgende
- Brans, a. a. O., Seite 128
- STA, Urk. Nr. 167/6, bzw. Kastner, a. a. O., Nr. 341
- Schmitz, Ein altes „Siechenhaus”, a. a. O., No. 1, S. 2
- Katasteramt Kreis Heinsberg, Urkarte Gerderath Flur 5; die drei Namen sind hier mit einem Anfangs-P geschrieben; zur Lage der Gemarkung s. Leo Gillessen, Gerderath in Geschichte und Gegenwart, Gerderath 1971, Flurkarte im Anhang.
- Otto R. Redlich, Jülich-Bergische Kirchenpolitik am Ausgange des Mittelalters und in der Reformationszeit, 2 Bände, Bonn 1907-1915 (= Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde XXVIII), hier 2. Bd., 1. Teil, Jülich (1533-1589), Bonn 1911, S. 730.
- Text von Günther Merkens 2025 für den Heimatverein der Erkelenzer Lande e. V. unter Verwendung der Informationen und Quellen von Hans-Otto Brans, a. a. O.
- Schriftenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande e.V.. Band 20, Seite 116 ff, Hans-Otto Brans: "Leprosenhäuser im heutigen Stadtgebiet von Erkelenz“ ,
- Schriftenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande e.V.. Band 3, 1982. Josef Lennartz/Theo Görtz, Erkelenzer Straßen ,
- Die Urkunden des Stadtarchivs Erkelenz: Regesten. Brauweiler, 2001 ,
- Rheinischer Städteatlas Erkelenz. Köln, 1976 ,
- Heimatkalender der Erkelenzer Lande. Erkelenz, Werner Reinartz, Rechtsprechung in Erkelenz um 1600, S. 65-71 ,
- Heimatblätter Monatsschrift für Heimatkunde. 21. Jg., 1941, No. 1. Schmitz, Ein altes „Siechenhaus” ,
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