Allgemeines
Lützerath war ein Weiler im Norden von Immerath (alt) und liegt am östlichen Rand der Stadt Erkelenz in Nordrhein-Westfalen, Deutschland. Er gehörte jahrhundertelang zur Gemeinde und Pfarre Immerath (alt). Die Ortschaft wurde von einigen Bauernhöfen und Wohnhäusern gebildet. Im Jahre 2023 wurde der kleine Ort nach großen Protesten von Braunkohlegegnern für die Inanspruchnahme durch den Tagebau Garzweiler II abgerissen.
Das folgende Video zeigt Lützerath im Jahre 1989, das zweite wurde im Jahre 2018 gedreht.
Auszug aus dem Film „Wunderbare Welt – Bedrohte Ortschaften“ der Stadt Erkelenz von 1989 (Copyright Stadtarchiv F5/43)
Lützerath 2018 aus der Luft (Copyright Michael Finken)
Geschichte
Ortsname
Im Jahre 1168 wird der Name des Dorfes als „Lutzelenrode“ urkundlich erwähnt. Er erfuhr bis zum Jahre 1651 leichte Veränderungen. Ab diesem Jahr wird der Ort mit dem heutigen Namen bezeichnet.
Lange Zeit wurde der Name aus dem Althochdeutschen als „kleine Rodung“ abgeleitet1. Karl L. Mackes weist allerdings darauf hin, dass die Ortschaftsnamen, die auf „-rode“ enden, häufig einen Rufnamen als Beiwort haben. Er führt den Namen auf „Lutzelin“, einem althochdeutschen Rufnamen, zurück. Demnach besagt der Ortsname, dass hier die Rodung des Lutzelin gewesen ist. 2
Entwicklung
Ursprünglich bestand Lützerath aus drei großen Gütern. Zwei dieser Güter fielen im 12. und 13. Jahrhundert an die Klöster Neuwerk und Duissern. Der dritte Hof war ein Ritterlehen.
Urkundlich wird der Verkauf des Neuwerker- oder Paulshofes an das Benediktinerkloster Neuwerk (heute Mönchengladbach-Neuwerk) 1168 erwähnt. Diese Urkunde ist die erste, die den Ortsnamen „Lutzelenrode“ nennt, somit auch die erste Erwähnung des Ortes. Durch Zukäufe wurde der Landbesitz noch erweitert. Bis zum Jahr 1802 war der Hof in der Hand des Benediktinerklosters. Bewirtschaftet wurde er stets von Pächtern. 1802 kam der Hof in den Besitz des französischen Staates und später der Preußen. Diese versteigerten den Hof meistbietend; erster privater Besitzer war der Düsseldorfer Hofrat Franz Adam von Heister, etwa ab 1820. Die Besitzer wechselten im Laufe der Zeit mehrfach, zuletzt war Heiner Pesch Besitzer. Der Hof ist zweimal (um 1600 und 1793) abgebrannt und wurde im Jahr 1952 vollkommen neu gebaut. Ab Beginn des 20. Jahrhunderts hat er den Namen Paulshof3.
Der Duissener-, Mönchs- oder Wachtmeisterhof war von 1265 bis 1802 im Besitz des Klosters der Zisterzienserinnen in Duissern bei Duisburg. Im Jahre 1265 kauften die Nonnen den Hof, durch Zukäufe und Schenkungen wurde der Landbesitz erweitert. Als die Nonnen im 14. Jahrhundert den Hof an einen Mönch verpachteten, erhielt der Besitz den Namen Mönchshof. Der Name blieb auch dann noch bestehen, als der Hof anschließend an Laien verpachtet wurde. Mit der Auflösung des Klosters Duissern im Jahre 1802 fielen die Liegenschaften an den französischen Staat. Nach dem Abzug der Franzosen übernahm der preußische Staat den Hof und versteigerte ihn. Verschiedene Pächter bewirtschafteten in den folgenden Jahrzehnten den Hof. Wie und wann der Name Wachtmeisterhof entstand, ist nicht überliefert. Der Name taucht 1927 bei der Verpachtung an Peter Pesch auf4. Der Hof ist seit langem und auch heute noch im Besitz der Familie Heukamp. Im Jahre 2021 ist er der letzte bewirtschaftete Hof in Lützerath.
Gegenüber dem Wachtmeisterhof lag – zwischenzeitlich abgebrochen – der Junkershof, ein Ritterlehen der Edelherren von Wevelinghoven. Nach dem Aussterben des Geschlechtes fiel der Hof an die Grafen von Bentheim-Tecklenburg, die bis zur Franzosenzeit Besitzer des Hofes waren. Da bis zum Ende des 17. Jahrhunderts der Hof nur an Adlige beliehen wurde und Adlige im Volksmund „Junker“ genannt wurden, bekam er den Namen „Junkershof“5. Bis 1696 belehnten ihn ausschließlich Adlige und ab 1710 nur noch bäuerliche Vasallen. 1797 endete die Belehnung. Nach der Franzosenzeit wurde der Besitz geteilt und an verschiedene Besitzer verkauft.6 Später verkauften dann die Erben der Besitzer nach und nach Land und Gebäude an verschiedene Landwirte. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kaufte Josef Luchhau, Pächter des benachbarten Wachtmeisterhofs, nach und nach die Ländereien des ehemaligen Junkershofs auf. Letzter Besitzer war seit 1952 Heinrich Behren aus Berverath.
Umsiedlung
Seit 2006 wurde Immerath (neu) errichtet und die Umsiedlung startete. Auch Lützerath siedelte in den Bereich von Immerath (neu) um. Der Rückbau des alten Dorfes begann 2013. Ab 2017 galt die Umsiedlung als abgeschlossen. Der Ortsname und die Straßen werden nicht mehr mit dem Zusatz „neu“ bezeichnet. Im Januar 2018 erfolgte der Abriss der Immerather Kirche. Mit dem Fortschreiten des Tagebaues wird Immerath von der Landkarte verschwinden. In Lützerath sollte die Umsiedlungsmaßnahme 2019 abgeschlossen sein, sie hat sich jedoch verzögert. Die Umsiedlung des Paulshofes wird im Juli 2021 abgeschlossen sein, dann ist nur noch der Wachtmeisterhof bewohnt. Umweltschützer kämpfen seit einigen Jahren um die Erhaltung Lützeraths. Durch mehrere gerichtliche Verfahren hat der Besitzer des Wachtmeisterhofes versucht, seinen Besitz zu erhalten. Im März des Jahres 2022 entschied das Oberverwaltungsgericht Münster, dass eine Enteignung des Wachtmeisterhofes rechtens sei. Danach verkaufte auch der letzte Bauer in Lützerath sein Anwesen.
Widerstand und Ende
Das gesamte Dorf wurde fortan nur noch von Aktivisten gegen den Braunkohleabbau bevölkert. Auch die Entscheidung der Landesregierung im Oktober 2022, den Tagebau zu verkleinern, die fünf Dörfer Keyenberg, Kuckum, Berverath, Ober- und Unterwestrich aus dem Plan herauszunehmen, dafür aber Lützerath zu opfern, konnte die Gegner nicht dazu bewegen, ihren Protest zu beenden. Lützerath wurde zum Symbol für die Forderung des direkten Ausstiegs aus der Braunkohle. Die Aktivisten behaupteten, dass nur die Erhaltung des Ortes für das Klimaziel, die Erhöhung der Erderwärmung auf 1,5° C zu begrenzen, verantwortlich sei. Die vorhandenen Häuser wurden besetzt, Camps und Baumhäuser errichtet, die Straßen verbarrikadiert.
Auf Anordnung des Landrats des Kreises Heinsberg begann die Räumung des Ortes nach entsprechenden Vorbereitungen am 10.01.2023 durch die Polizei. Gegen alle Erwartungen konnte der Ort zügig geräumt werden. Die meisten Demonstranten verließen ihn friedlich. RWE-Power riss jeweils unmittelbar nach der Räumung die entsprechenden Bauteile ab. Zu einer sehr großen Kundgebung kam es am Samstag, dem 14.01.2023. Zwischen 15.000 und 35.000 Demonstranten (die Schätzungen waren je nach Partei sehr unterschiedlich) standen etwas mehr als 3000 Polizeikräften gegenüber. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit etlichen Verletzten auf beiden Seiten. Am 16.01.2023 verließen die letzten Aktivisten einen selbst gegrabenen Tunnel. RWE-Power konnte nun die letzten Häuser abreißen. Das Dorf Lützerath hörte nach 855 Jahren auf zu existieren.
Bilder von der Räumungsaktion unter anderem auf der Internetseite der Deutschen Welle.
Bevölkerung
Entwicklung
Lützerath ist ein einwohnermäßig kleines Dorf, das abgesehen von wenigen Ausnahmen immer unter hundert Einwohnern hatte; im Jahre 1970 waren es 105 Einwohner. 7 Im Zuge des Verkaufs der Dörfer Pesch, Immerath und Lützerath an RWE-Power, sank die Einwohnerzahl kontinuierlich. Aus den Statistiken der Stadt Erkelenz ergaben sich für 2008 noch 79 Einwohner. Die Zahl sank im Jahre 2012 auf unter 40 Einwohner. Im Jahre 2019 wohnten noch 20 Einwohner in dem kleinen Ort. 8 Anfang Juli 2021 waren es noch drei Bewohner.
Erwerbsstruktur
Die Bevölkerung war bis ins 19. Jahrhundert hinein vorwiegend in der Landwirtschaft tätig. Allerdings ist für 1799 belegt, dass sich in Lützerath ein Händler, ein Schmied und 3 Tagelöhnerfamilien ansiedelten.9 Wie in den anderen Umsiedlungsorten auch, entwickelte sich die Erwerbsstatistik im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts zugunsten der industriellen Berufe. In Lützerath waren 1970 außerhalb der Landwirtschaft 78 von 105 Menschen beschäftigt. 10
Religion
Lützerath gehörte zur katholischen Pfarrgemeinde Sankt Lambertus Immerath. Die Bevölkerung war zum großen Teil katholischen Glaubens. Die Kirche Sankt Lambertus war auch die Pfarrkirche für Lützerath. Ob es in Lützerath eine kleine Kapelle gegeben hat, ist unwahrscheinlich. 11. Vorhanden war ein Neugotisches Kreuz, das wohl 1867 von den Besitzern des Wachtmeisterhofes errichtet wurde. Die Umgebung des Kreuzes war u. a. mit vier Stufen, einer Einfassungsmauer mit einem Eisengitter, Bäumen und Sträuchern gestaltet. 12 Die vier Stufen und die Umfassungsmauer sind wohl irrtümlicherweise als zu einer ehemaligen Kapelle gehörend gedeutet worden.
Am Paulshof befand sich ein Grabstein der Frau Gertrudis Velders, genannt Fleusters, aus dem Jahre 1790. Die Eheleute Velders waren von 1748 bis 1780 Pächter auf dem Wachtmeisterhof. Wahrscheinlich stand der Grabstein zunächst auf dem Kirchhof in Immerath und ist erst später (evtl. 1885) nach Lützerath gekommen.13
Ortsansichten
- Karl L. Mackes: Erkelenzer Börde und Niersquellengebiet, a. a. O., Seite 173
- Karl L. Mackes, a. a. O., Seite 173
- Karl L. Mackes, a. a. O., Seite 173
- Karl L. Mackes, a. a. O., Seite 176
- Karl L. Mackes, a. a. O., Seite 179
- Karl L. Mackes, a. a. O., Seite 181
- Karl L. Mackes: a. a. O., Seite 173
- siehe https://www.erkelenz.de/tourismus-kultur-sport-freizeit/stadtportrait/bevoelkerungsentwicklung/
- siehe Karl L. Mackes, a. a. O., Seite 297 und Peter Staatz: Geschichte im Schatten von Sankt Lambertus, a. a. O., Seite 46
- siehe Karl L. Mackes, a. a. O., Seite 299
- Siehe Kurt Lehmkuhl in der Rheinischen Post vom 01.07.2021
- siehe Band 17 der Schriftenreihe des Heimatvereins, S. 142
- siehe Band 17 der Schriftenreihe des Heimatvereins, S. 148
- Text von Regina Recker, Rudolf Recker-Proprenter und Wolfgang Lothmann 2018 für den Heimatverein der Erkelenzer Lande e. V., 2021 ergänzt von Günther Merkens, 2023 ergänzt von Wolfgang Lothmann
- www.erkelenz.de. www.erkelenz.de, /tourismus-kultur-sport-freizeit/stadtportrait/bevoelkerungsentwicklung/ ,
- Geschichte der Pfarre St. Lambertus. 1975, S. 1 ff. ,
- www.erkelenz.de. www.erkelenz.de, /planen-bauen-wohnen-umwelt/umsiedlungen-tagebau-garzweiler-ii/immerath-pesch-luetzerath-und-borschemich/ ,
- Erkelenzer Börde und Niersquellengebiet. Mönchengladbach, ISBN: 3-87448-122-0, 1985, S. 173 ff. ,
- Schriftenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande e.V.. Band 17. Paul Blaesen: Zeichen am Wege. Dokumentation christlicher Kleindenkmäler in der Stadt Erkelenz, 1998. ,
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