Ein Dorf verfällt, bevor der Bagger kommt

Verfall

Keyenberg um die Jahrtausendwende:

Der Braunkohletagebau ist noch weit entfernt und alles im Dorf ist noch in Ordnung. Es gibt noch zwei REWE-Geschäfte, einen Metzger, einen Bäcker, einen Blumenladen, eine Gaststätte. Die Grundschule hat noch genug Kinder, um 2 oder 3 Parallelklassen zu bilden. Die Bauern des Dorfes können ihre Felder noch bewirtschaften, ohne um Pumpen herumfahren zu müssen. Der Schützenverein feiert seine Kirmes in einem vollen Zelt und mit großem Zuspruch bei den Umzügen am Straßenrand. Nur die Windräder im Feld nach Holzweiler zeugen davon, dass sich energetisch etwas tut. Viele haben die Hoffnung, dass die Windenergie doch den Braunkohleabbau stoppen kann, zumindest soweit, dass die A 61 die Grenze bildet.

 

Immerhin werden im Ort noch Neubaugebiete erschlossen, im Sandkaul. Das gibt Hoffnung, auch wenn die Kinder ihren „Rodelberg“ verlieren.

Und doch! Schon jetzt ändert sich auch in Keyenberg etwas, schleichend und fast unbemerkt.

In Borschemich und Immerath beginnt der Umsiedlungsprozess. Das bedeutet: Für Keyenberg bricht das Hinterland zusammen. Mit dem Umzug der Borschemicher ins Neubaugebiet gehen weniger Leute einkaufen. Kegelclubs lösen sich auf. Aber noch sind die Bagger weit hinter Borschemich und von Keyenberg aus nicht zu sehen und nur einzelne Einwohner nehmen die Veränderungen wahr.

Keyenberg 2017:

Noch immer steht der Bagger hinter der A 61. Aber man sieht ihn schon vom Ortsausgang aus bedrohlich auf die Autobahn zukommen. Keyenberg hat am Ende des Jahres 2016 den Umsiedlungsstatus bekommen. Einige Bewohner haben daraufhin schnell ihre Häuser verkauft und verlassen bereits das Dorf.

Beide REWE-Geschäfte haben geschlossen. In dem Geschäft auf der Holzweilerstraße war einige Zeit noch ein Bäcker, der aber 2016 den Laden schloss, weil der Umsatz nicht mehr stimmte. Das andere Geschäft wurde in Wohnungen umgebaut. Immerhin existieren noch der Bäcker, die Metzgerei und die Gaststätte Keyenberger Hof. Doch auch hier sieht man kaum noch jemanden an der Theke stehen.

 

Die Gespräche der Keyenberger drehen sich nur noch um Verhandlungen mit RWE-Power und den damit verbundenen Schwierigkeiten. Zu Dorfklatsch hat man gar keine Lust mehr. Die Schützen stellen fest, dass die Kirmes kaum noch besucht wird. Die wenigen Bauern, die noch existieren, beackern kein freies Feld mehr. Sie müssen um die vielen Sümpfungspumpen herumfahren, die bereits rund um den Ort errichtet wurden.

Die fehlenden Dörfer Immerath und Borschemich haben die Grundschule schrumpfen lassen. Statt 2 oder 3-zügige Eingangsklassen einzurichten, muss man 2017 froh sein, noch eine Eingangsklasse bilden zu können.

Der Ort verwahrlost zunehmend. Die Bäche werden nur noch 2 – 3 Stunden am Tag durch Sümpfungswasser versorgt. Anwohner beschweren sich, dass die Ratten zunehmen. Die Ufer werden nur noch einmal im Jahr gepflegt, so dass sie von Brennnesseln überwuchert werden.

Die Alte Schule verunkrautet bereits.

Die Anlagen in der neuen Schule und der Spielplatz scheinen auch nicht mehr richtig gepflegt zu werden. Dort, wo Einwohner bereits ihre Häuser verlassen haben, sprießen die Wildkräuter aus dem Bürgersteig manchmal auch aus dem Dach der Häuser. Container bestimmen zunehmend das Ortsbild. Sie enthalten die Einrichtungsgegenstände, die die Einwohner beim Verlassen ihrer Häuser entsorgen.

Nach einem Sturm vor einigen Jahren musste der alte Baumbestand in der Anlage vollständig gefällt werden. Seitdem wächst das Gelände ungepflegt zu.

Bereits zweimal innerhalb eines Jahres wurde das Ortseingangsschild abmontiert und gestohlen. Ein schönes Andenken für die Diebe, die sich das Schild in den Partykeller oder die Garage hängen, frustrierend für die Anwohner, die sich bereits jetzt abgehängt fühlen.

Der Ort lebt zwar noch, doch viele Zeichen deuten bereits das Ende an. Schade!

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